Flusslandschaft 1952

Nazis

Am 6. Januar protestieren mehrere Organisationen im überfüllten Sophien-Saal gegen die Auf-
führung von Veit-Harlan-Filmen. Man werde die Aufführung des jüngsten Films „Hanna Amon“ verhindern.

„Das Aufkommen der Neonazis in Bayern ist geradezu erschreckend. Pfaffenherrschaft mit Neona-
zismus …“1

„29. Januar: Eine Initiativgruppe, bestehend aus Angehörigen der Gewerkschaftsjugend, des Bun-
des Europäischer Jugend,
verschiedener akademischer Verbände, der Presse sowie sozialistischer und christlicher Jugendorganisationen unterbricht die Gründungsversammlung der Deutschen Unabhängigkeits-Bewegung (DUB) in München. Während der Bekanntgabe des Parteipro-
gramms. das als seine ‚vornehmste Aufgabe’ die ‚Befreiung Deutschlands aus den Fesseln der Mächtegruppen’ ansieht, nehmen die Demonstranten in dem Versammlungsraum Platz und blockieren sämtliche Ausgänge. Nach einer eineinhalbstündigen Persiflage auf die Zielsetzungen des DUB schlagen Sprecher der Initiativgruppe vor, das Programm an einen siebenköpfigen Aus-
schuss ‚zur Revision’ weiterzuleiten. Die Veranstalter, unter ihnen Karl Jochheim-Arnim, der Bundesfeldmeister der Nationalen Jugend Deutschlands (NJD), und sein Stellvertreter, der Stu-
dent Otto-Heinrich Jung, kapitulieren schließlich. Nachdem der Beschluss gefasst wird, die revi-
dierten Statuten des DUB am Aschermittwoch vorzulegen, löst sich die Versammlung, zu deren Gästen auch der Gründer der Vaterländischen Union, Karl Feitenhansl, zählt, ohne Zwischenfälle auf.“2

Am 28. Februar protestiert der Bayerische Jugendring gegen das rüde Verhalten der Polizei bei Protestkundgebungen gegen Veit-Harlan-Filme in Freiburg und weiteren Universitätsstädten. Erich Kästner schreibt den Freiburger Studenten.3 Der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, Walter von Cube, meint, das Übel sitze tiefer. Keine Polizei werde auf Dauer anders sein als das Volk, aus dem sie hervorgehe.

„Eine Sendung des Bayerischen Rundfunks am 17. März sorgt für einen bundesweiten Skandal; die Redakteure berichten, dass 85 Prozent der leitenden Beamten des Außenministeriums in Bonn sich aus ehemaligen NSDAP-Mitgliedern rekrutieren; hätte man vor der eigenen, bayerischen Tür ‘gekehrt’, hätte man besonders bei der Polizei und in vielen Behörden des Freistaates einen minde-
stens ebenso hohen Prozentsatz ehemaliger Nationalsozialisten ermitteln können, wie allein schon die Nachkriegsgeschichte der Sinti und Roma in Bayern belegt.“4

In der Nacht zum 25. März hängen Unbekannte Plakate mit der Aufschrift „Nazi“ an das Gebäude des J.F. Lehmann-Verlages und an mehrere Buchhandlungen. Der Protest richtet sich gegen die Neuerscheinung der „Gattenwahl“ des früheren NS-Rasseideologen Hans Friedrich Karl Günther.5

Die Bundesregierung will die Sozialistische Reichspartei (SRP) als Nachfolgeorganisation der NSDAP verbieten lassen. In München kommt es am 25. Juli zu einem geheimnisvollen Treffen, dessen Verlauf allerdings ein immer bekannter werdendes Nachrichtenmagazin ausplaudert, so dass die Verabredungen beim Treffen zu Protesten und Gegenmaßnahmen führen.6

Der Träger des Goldenen Parteiabzeichens und SS-Obersturmbannführer Helmut Sündermann wird 1952 beim Druffel-Verlag in Leoni am Starnberger See tätig. Der 1955 gegründete Grünwal-
der Kreis
, ein Zusammenschluss demokratisch engagierte Publizisten, Wissenschaftler und Juri-
sten, strengt 1957 vergeblich einen Prozess gegen den Verlag wegen Verbreitung staatsgefährden-
der Schriften an.7


1 Oskar Maria Graf am 22. Januar 1952 in einem Brief an Gisela Graf, zitiert in: Peter Schult/Django, Ein Anarchist in Lederhosen. Ein Gespräch mit Gisela Graf; in: Blatt. Stadtzeitung für München 103 vom 9. September 1977, 13.

2 Wolfgang Kraushaar, Die Protest-Chronik 1949 – 1959. Eine illustrierte Geschichte von Bewegung, Widerstand und Utopie. 4 Bde., Hamburg 1996, 551.

3 Siehe Kästners „Brief an die Freiburger Studenten“.

4 Robert Schlickewitz, Sinti, Roma und Bayern. Kleine Chronik Bayerns und seiner „Zigeuner“, 2008, http://sintiromabayern.de/chronik.pdf 119.

5 Vgl. Manfred Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, Berlin 1961, 366 f.

6 Siehe „Wenn das Verbot kommt“.

7 Vgl. Manfred Jenke, Verschwörung von Rechts? Ein Bericht über den Rechtsradikalismus in Deutschland nach 1945, Berlin 1961, 348 ff.