Flusslandschaft 1968

Rechtsextremismus


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Dreihundert NPD-Anhänger sind mit Einsatzplänen systematisch auf die Störung der Veranstal-
tung der im Januar gegründeten Demokratischen Aktion (DA) am 31. Januar vorbereitet worden. Auf dem Plakat zu dieser Veranstaltung heißt es: „Noch mal? Mit uns nicht! … 1933 mahnt, Grie-
chenland warnt.“ In der Veranstaltung im Kongress-Saal des Deutschen Museums zum 35. Jahres-
tag der Machtübergabe am 31. Januar 1933 rezitieren Ursula Noack, Paul Dahlke, Dieter Hilde-
brandt und Siegfried Lowitz unter anderem Texte von Tucholsky und Brecht. Neben Bernt Engel-
mann und dem Vorsitzenden der Liga für Menschenrechte, dem Schriftsteller Frank Arnau, warnt Georg Benz vom Hauptvorstand der IG Metall vor den geplanten Notstandsgesetzen: „Unter dem Vorwand angeblicher innerer und äußerer Gefahren bestehe dann die Möglichkeit, jederzeit hinter der Fassade formaler Demokratie eine Diktatur zu errichten. Der Widerstand gegen diese Gesetze müsse entschlossen weitergeführt werden.“ Wiederholt unterbrechen Sprechchöre der randalie-
renden NPD-Anhänger die Vorträge. Ordner setzten die meisten von ihnen an die Luft. Ein sechs-
undfünfzigjähriger NPD-Anhänger regte sich derart auf, dass er am Ende der Veranstaltung vom Schlag getroffen wird und stirbt.2 Die Polizei hält sich zurück. Zweihundert Besucherinnen und Besucher ziehen in einer Spontandemo im Anschluss an die Veranstaltung der Demokratischen Aktion noch vors griechische Konsulat in der Steinsdorfstraße und werfen, obwohl sie sich in der Landtagsbannmeile befinden, mit den Rufen „Freiheit für Griechenland“ Farbbeutel an die Fas-
sade, zünden Knallkörper und hauen dabei auch zwei Fenster entzwei. SDS-Student Thomas Schmitz-Bender malt „114“ an das Gebäude und weist damit auf den Widerstandsparagraphen in der griechischen Verfassung hin. Er wird am 7. Juni zu acht Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Die Anklagedelikte lauten: Aufruhr, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Verlet-
zung der Parlamentsbannmeile.3

GASt, ABV, ISK, AStA, HSU, LSD, SDS und SHB organisieren in der Ludwig-Maximilians-Univer-
sität
am Geschwister-Scholl-Platz 1 und in der Technischen Hochschule an der Arcisstraße 21 eine „Antifaschistische Woche“ vom 19. bis 22. Februar mit Filmen, Arbeitskreisen, Teach-ins und einer Bestandsaufnahme über den Neonazismus in der Bundesrepublik mit Erich Fried und B. Perotti/ Rosa Bianca Italien. Vor der Universität wird eine Ausstellung über Bundespräsident Heinrich Lübkes Tätigkeit im Dritten Reich als Architekt von KZ-Lagern gezeigt.4 Prof. Theodor Maunz, der 1964 wegen seiner Vergangenheit als bayrischer Kultusminister zurücktreten musste, verweigert eine Befragung durch die StudentInnen. Eintausenddreihundert StudentInnen verabschieden eine Resolution, in der gefordert wird, die Ludwig-Maximilians-Universität am Geschwister-Scholl-Platz 1 in „Geschwister-Scholl-Universität“ umzubenennen. Die Geschwister-Scholl-Gedenkfeier im Lichthof wird am 23. Februar durch Sprechchöre, Transparente und Flugblätter, die aus den Obergeschossen herabflattern, gesprengt. Diese fragen nach „den antifaschistischen Taten des versammelten Establishments“. Man bezeichnet es als Zynismus, dass die Universität heute der Geschwister Scholl gedenkt, während die Helfer der Henker noch Mitglieder dieser Universität sind. („Maunz, Maurach, Schmaus – aus der Uni raus!“, „Weiße Rose – braune Universität“) Der Protest der StudentInnen richtet sich auch besonders gegen den Hauptredner der Feier, Prof. Walter Bußmann, einem Mitarbeiter der rechtslastigen Deutschland-Stiftung.

11. Mai: LSD-Happening zur Verleihung der „Konrad-Adenauer-Preise“ der Deutschland-Stiftung auf dem Königsplatz.5

Am 18. Mai beschützt ein Zug der Bayerischen Bereitschaftspolizei die Jahrestagung der NPD in Planegg.

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22./23. Juni: Die Demokratische Aktion (19 Organisationen) führt in München und Dachau ein „Europatreffen gegen Neonazismus und Faschismus und für Völkerverständigung“ durch. An Po-
diumsgesprächen, Veranstaltungen und Kundgebungen im Zircus Krone an der Marsstraße 43, Schwabinger Bräu, Leopoldstraße 82, und in der TH nehmen Gisela Mai, F. J. Degenhardt, H. D. Hüsch, Dieter Süverkrüp, Walter Fabian, Dr. Jürgen Böddrich, Friedrich Hitzer, Erwin Essl, Lud-
wig Koch und Luise Rinser teil. Man rechnete mit 20.000 bis 30.000 Teilnehmern; es sind tat-
sächlich nur 3.000. – Peter Stein führt Regie bei einer Aufführung des „Vietnam-Diskurs“ durch die Kammerspiele.

Am 28. Oktober feiert ein „Kameradenkreis ehemaliger Panzertruppen“ in der Gaststätte des Georg-von-Vollmar-Hauses am Oberanger 38. Man sieht sich den Film „Kameraden unter dem Edelweiß“ an. Anwesende AntifaschistInnen protestieren und werden aus dem Saal geprügelt.7

Auf einer NPD-Kundgebung im Bürgerbräukeller an der Rosenheimer Straße 11 in Haidhausen, die von zwei Hundertschaften der Bayerischen Bereitschaftspolizei geschützt wird, sehen die Ord-
nungshüter am 21. November zu, wie NPD-Ordner äußerst brutal auf APO-DemonstrantInnen einprügeln. Renate Vogel (SDAJ) erleidet eine Gehirnerschütterung. Rechtsanwalt Dr. Norbert Kückelmann und Rechtsreferendar Hark Bohm wollen die Polizei wegen des Nichteingreifens und unterlassener Hilfeleistung verklagen.

In der Ludwig-Maximilians-Universität am Geschwister-Scholl-Platz 1 findet am 3. Dezember ein Teach-in über Neofaschismus mit Beate Klarsfeld statt.

Nach dem Freispruch des Nazi-Richters Hans-Joachim Rehse richtet am 12. Dezember eine Reihe prominenter Bundesbürgerinnen und Bundesbürger, unter ihnen Carl Amery, Dr. Frank Arnau, Kurt Desch, Bernt Engelmann, Dr. Wilhelm Hoegner, Michael Jary, Heinar Kipphardt, Klaus Piper und Luise Rinser, einen Appell an die Bundesregierung mit der Forderung, die notwendigen ge-
setzgeberischen Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass Nazi-Terrorurteile nachträglich legalisiert werden.

Siehe auch „Prozesse“.

(zuletzt geändert am 8.2.2020)


1 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

2 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 6. Februar 1968, 13.

3 Siehe „Politische Prozesse“.

4 Heute wissen wir, dass die Staatssicherheit der DDR die hier gezeigten Unterlagen über den „KZ-Baumeister“ Lübke „frisiert“ hat.

5 Vgl. Süddeutsche Zeitung 115/1968.

6 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

7 Siehe „General ergriff die Flucht“.