Flusslandschaft 1969

Kunstakademie

Am 4. Februar schwört der AStA der Akademie der Bildenden Künste an der Akademiestraße 2 – 4 die Erstsemester in einer „Immatrikulationsfeier“ mit selbstgeschneiderten Talaren und ironisch gestalteten Ritualen feierlich auf die Revolution ein.

Am 5. Februar knattern ab 14 Uhr Motorräder durch die langen Flure der Akademie. Es ist der „Tag des Zweirads“.1 – Am 5. Februar beginnt um 15 Uhr als erste Runde eines Fußballwettbe-
werbs um den Franz-Gans-Pokal ein Match zwischen einer Mannschaft der „Franz-Gans-Univer-
sität“ (Ludwig-Maximilians-Universität LMU) und der „Roten Akademie“ (Kunstakademie) auf dem Kampfplatz „Rote Erde“, i.e. Wandelhalle der LMU. Die anschließende spontane Demonstra-
tion führt zur Ecke Akademie-/Türkenstraße, da sich der Präsident der Kunstakademie gegen die Einrichtung eines antiautoritären Kindergartens in den hier bestehenden Baracken wendet.

Am 20. Februar wird die Akademie der Bildenden Künste auf Anordnung des Kultusministeriums geschlossen. Einhundertdreiundzwanzig Kommilitoninnen und Kommilitonen, die daraufhin die Akademie besetzen, werden festgenommen.2 Die Schlagzeile der Bild-Zeitung vom 21. Februar lautet „Münchens Akademie in Schweinestall verwandelt“.

Im Juni und Juli 1968 kommt es zu den ersten Wandbemalungen in der Kunstakademie, diesem „feudalen Bau mit seinen trostlos weißen Wänden“, die in den folgenden Monaten immer üppiger werden. Am 4. Juni 1969 wird der Verwaltungstrakt bemalt, am 4. Juli entsteht, nachdem zuvor die vier gerade erst erstrittenen Studentenvertreter von einer Kollegiumssitzung ausgeschlossen worden sind, die „Kunstbarrikade“, die den Weg zum Verwaltungstrakt versperrt.3 – Nachdem Abgeordnete nach gewissenhafter Inaugenscheinnahme des Tatorts „das Obszönste, Perverseste und Gotteslästerlichste“ entdeckt haben, verfügt der Landtag am 17. Juli die erneute sofortige Schließung der Akademie der Bildenden Künste bis zum Wintersemester. Das Kultusministerium hatte der Akademieleitung vorgeworfen, trotz entsprechender Anordnungen nicht gegen die Be-
malungen vorgegangen zu sein.4

„Die Münchner Akademie, die nach turbulenten Protestaktionen ihrer Studenten vom bayrischen Kultusministerium geschlossen worden war, (tendenzen 58, 59), eröffnete zum Wintersemester unter weitgehendem Verzicht auf die alten Zöpfe. Der Asta und die revolutionären Studenten er-
halten mehr Rechte und mehr Geld. Akademiedirektor Paolo Nestler wurde zwischen Studenten und der Bayrischen Reaktion, in Gestalt des Kultusministers Huber, aufgerieben und schied aus seinem Amt, das nun von einem provisorischen Gremium mit gewissem Einfluss der Progressiven verwaltet wird.“5

Siehe auch „Kinder“.


1 Siehe „Revolution ist herrlich, alles andere ist Quark!“ von Wieland Sternagel.

2 Siehe „In München mussten die Kunststudenten ihre eigene Akademie stürmen“, „Protokoll zum Akademie-Scheiß vom 20.2.1969“ von Heinz Koderer, „‚Wenn Sie noch einmal kommen, dann …’“ von Hartmut Wächtler und „An dem Tag der Akademieschließung …“ von Rolf Pohle.

3 Siehe „Die Wandmalereien in der Münchner Akademie der Bildenden Künste“ von Alfred Lachauer.

4 Siehe „Permanent in den Sack treten“ von Lutz Ziegenbalg.

5 tendenzen. Zeitschrift für engagierte Kunst 63/64 vom Dezember 1969, 288.