Materialien 1968

Aber Prag war wohl wichtig für mein Leben ...

Kommunistenleben; ich habe zu der Zeit sehr oft gekotzt, kurz danach wurde ich sehr krank. Als die Panzer in Prag einzogen, in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968, da bin ich da hingefah-
ren mit dem 2CV, sofort, in der selben Nacht noch. Warum das denn? Nicht als Reporter, ich war nie Kisch oder Hemingway, ich wollte nicht die wilde Geschichte. Sondern ich hatte da lauter Ge-
nossen, Kommunisten, in Ostrava. Und ich wollte mit denen zusammen sein, wenn jetzt was pas-
siert. Das ist ein Element, was man vielleicht irrational nennen muß, es ist ja nicht … vernünftig. Die Partei hat mich deshalb auch sehr kritisiert danach, sie sagten, wenn Du unter einen Panzer gekommen wärst, hätten die hier das ausgeschlachtet gegen die Kommunisten, gegen die Partei, so haben die das gesehen. Aber das war für mich alles keine Kategorie.

Es war ein wahnwitziges Erlebnis, und wäre es nicht zur Gründung der DKP gekommen, wäre ich vielleicht wegen Prag aus der Partei rausgegangen. Aber an sich war die Gründung der DKP der Anlaß für meinen Austritt. Wie uns das innerhalb von zwölf Tagen vermittelt wurde von der Lei-
tung, da habe ich gedacht, das hat nun wirklich nichts mit kommunistischer Partei zu tun, das ist nur noch eine Auftragsorganisation, ein Planungsverein. Eine Partei, eine kämpfende Partei kommt von kämpfenden Menschen, aber nicht von irgendeiner Zentrale, die sagt, jetzt nennen wir uns mal anders und sprechen vorher mit dem Bonner Justizminister, reden mit dem auch noch ab, was wir nicht ins Programm schreiben. Das kriegten wir alles mit. Und das war so klar, Klaus, als Münchner kleiner Genosse, das war so klar, wie das lief, daß ich gesagt habe, damit will ich nichts zu tun haben. Wir wurden eingeladen und aufgefordert, der neuen Partei beizutreten, nachdem es jahrelang eine Kampagne zur Wiederzulassung der verbotenen KPD gab …

Christian Geissler

Prozess im Bruch. Ein Gespräch mit Christian Geissler nach dessen Eintritt in das achte Lebens-
jahrzehnt von Klaus Mellenthin in analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis 431 vom 21. Oktober 1999.