Materialien 1965

20 Jahre danach

Die CDU sagte in ihrem Ahlener Programm von 1947:

«Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen … Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.»

Durch die kapitalistische deutsche Industrie wurde Hitler finanziert und ans Ruder gebracht. Nach 1945 wurden nur Personen entnazifiziert, aber das System des Monopolkapitalismus, dessen Produkt der Nationalsozialismus war, blieb unangetastet.

Heute haben sämtliche Parteien das kapitalistische System als «unabänderlich» akzeptiert – mit allen seinen Konsequenzen:

1. Rüstungswirtschaft zur Aufrechterhaltung der Konjunktur und zur Sicherung der Profite, der Macht und der Kommandogewalt weniger über viele.

2. Konsumterror durch raffinierte Reklametricks, Anpeitschen zum mörderischen Prestigewettrennen und schamlose Ausnutzung menschlicher Bedürfnisse, die in Wirklichkeit unbefriedigt bleiben.

3. Gleichschaltung der öffentlichen Meinung im Interesse der herrschenden Ordnung durch vernebelnde Massenmedien.

4. Antikommunismus, der den Antibolschewismus der Nazis fortsetzt und die Rolle des früheren Antisemitismus übernommen hat, um von den Schwierigkeiten des kapitalistischen Systems abzulenken und einen Buhmann aufzubauen.

Vor zwanzig Jahren kapitulierte das nationalsozialistische System. Das kapitalistische System aber, das den Faschismus hervorgebracht hat, lebt fort und wird wie damals alle Mittel einsetzen, um sich weiterhin zu behaupten. Notstandsgesetzgebung ist nur das sichtbarste dieser Mittel.

Täuschen wir uns nicht:

Trotz allem Gerede von Freiheit sind wir dauernd dem sanften Terror ausgeliefert! Wer aufmuckt, aus der Reihe tanzt, das System in Frage stellt, bekommt sofort die angsterfüllte Brutalität der bedrohten Herrschaft zu spüren.

«Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch» (Brecht).

München, den 8. Mai 1965

Aktion für internationale Solidarität

Albrecht Goeschel (Hg.), Richtlinien und Anschläge. Materialien zur Kritik der repressiven Gesellschaft, München 1968, 93 f.