Materialien 1988
„Ethische Pflicht“ und „biologischer Zwang“ zur Mutterschaft
Hört man auf CDU/CSU-Politiker, Vertreter der katholischen Kirche und ärztliche Standesvertre-
ter, so scheint die angeblich hohe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen eines der größten Proble-
me der BRD zu sein. Probleme wie die konstant hohe Arbeitslosigkeit, die die „Neue Armut“ nach sich zieht, die Bedrohung des Friedens, die Zerstörung der Umwelt, spielen eine vergleichsweise geringe Rolle.
Dr. E.Th. Mayer sprach in den „Münchner Ärztlichen Anzeigen“ von der „alltäglichen Massenver-
nichtung von Menschenleben ausgerechnet durch Ärzte“, von der „millionenfachen Vernichtung von gesunden Kindern in gesunden Müttern“. (Nr. 45, 9.11.85)
Herr Vilmar, Vorsitzender der Bundesärztekammer verstieg sich zu folgender Formulierung: „Parasitäre Selbstverwirklichung auf Kosten des Lebens Ungeborener“ (Medizin heute, Okt.85)
Keine andere Frage liegt der katholischen Kirche so sehr am Herzen, sei es in der 3. Welt, wo Menschen an Hunger sterben, sei es in der BRD, die im europäischen Vergleich niedrige Schwan-
gerschaftabbruchzahlen aufzuweisen hat. So predigte in der Sylvesterandacht 84/85 im Fuldaer Dom Erzbischof Johannes Dyba: „Die Menschen in der BRD leben in einer enormen moralischen Krise. In der BRD als einem der reichsten Länder der Welt werden fast jedes Jahr fast 300.000 Ungeborene im Mutterleib wegen sozialer und wirtschaftlicher Unzumutbarkeit getötet.“
Kardinal F. Wetter, Erzbischof von München und Freising bezeichnete die Abtreibungspraxis in der BRD als ein schlimmes Zeichen, das an Schrecklichkeit um nichts hinter den Atompilzen von Hiroshima und Nagasaki zurückstehe. (SZ, 15.8.85)
Mutter Teresa: „Die Abtreibung ist der größte Zerstörer des Friedens geworden." (vor der UNO-VV, Okt. 85)
Mit solchen Äußerungen wird seit Jahren Stimmung gemacht, Schwangerschaftsabbruch mit Kindstötung gleichgestellt. Die bayrische Justizministerin Frau Dr. M. Berghofer-Weichner beklagt in einer Pressemitteilung, daß für Abtreibungen in der BRD praktisch uneingeschränkte Straffrei-
heit bestehe. „Es besteht kein Zweifel, daß mit der geltenden Regelung Mißbrauch getrieben wird. Ich halte es für völlig ausgeschlossen, daß angesichts der hohen Zahlen der Schwangerschafts-
abbrüche immer die Voraussetzungen einer Indikation nach §218 StGB vorlagen.“ (19.5.85)
So wurde versucht die Akzeptanz für das jetzt vorliegende Beratungsgesetz zu erhöhen. Frauen wird damit unterstellt, daß sie sich aus nichtigen Gründen der demütigenden Prozedur eines Schwangerschaftsabbruchs unterwerfen, sie werden mit Kriegsverbrechern gleichgestellt. Sie sind für die Zerstörung des Friedens, den moralischen Verfall verantwortlich.
Ein anderes Argument in dieser Debatte ist die Behauptung, die Finanzierung der Schwanger-
schaftsabbrüche durch die gesetzlichen Krankenkassen stelle einen erheblichen Kostenfaktor dar und trage so zu den hohen Kassenbeiträgen bei ….
1980: 0,12 % der Gesamtleistungen /Jahr tür Sterilisation und Schwangerschafts-
abbrüche, das sind 3,10 DM pro Versicherter/Jahr
In welcher Weise in Bayern 1987 die Notlagenindikation interpretiert wird, dafür setzte das Landgericht Nürnberg im Prozeß gegen den Nürnberger Gynäkologen R. Peselli Maßstäbe. In zahlreichen Einzelfällen wurden die vorliegenden Indikationen als unzureichend beanstandet. Dr. Peselli wurde u.a. auch wegen der unerlaubten Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen verurteilt …
In der Urteilsbegründung schreiben die Herren Richter: „Ist keine dieser Möglichkeiten gegeben, (zur Unterbringung des Kindes), so muß die Mutter mindestens bis zum Kindergartenalter des Kindes ihre eigene Berufstätigkeit aufgeben und notfalls von Sozialhilfe leben. So hart das die Mutter auch trifft, so ist dieser Nachteil doch in keiner Weise der Vernichtung des sich entwik-
kelnden Lebens vergleichbar … Es handelt sich hier um Belastungen, die in Kauf genommen und ertragen werden müssen.“
Ob die Herren Richter auch bereit wären, notfalls von Sozialhilfe zu leben, um ihr Kind aufzu-
ziehen?
Was aus diesen Kommentaren und der Urteilsbegründung klar wird: es geht nicht um das Leben des Kindes, der Mutter, der Familie, sondern es geht um die Durchsetzung des Prinzips, daß Frauen Kinder zu gebären und aufzuziehen haben, unter welchen Umständen auch immer. Nicht umsonst hatte Herr Geißler schon 1984 im Abschlußpapier einer Kommission zum Schutz des ungeborenen Lebens „die ethische Pflicht und den biologischen Zwang zur Mutterschaft“ fest-
stellen lassen.
Dabei haben weder die CDU/CSU-Vertreter, noch die sonstigen Abtreibungsgegner jemals bewiesen, daß durch noch schärfere Verfolgung von Schwangerschaftsabbrüchen Abbruchraten verringert werden können …
Durch bürokratische Erschwernisse und Strafverfolgung wird nur erreicht, daß dies in demütigen-
der Weise, unter hohen Kosten, zu spät und mit hoher Komplikationsrate geschieht. Aber diese selbsternannten Fürsprecher des Lebens haben auch nicht wirklich die weitere Senkung der Ab-
brüche im Sinn, dann stünden nämlich ganz andere Maßnahmen an:
1. die Schaffung eines anderen Klimas der Information über Sexualität, Schwangerschaftsberatung und Verhütung
2. die drastische Verbesserung der Lebenssituation für Kinder und Familien sowie durchgreifende Maßnahmen, um Frauen Berufsausübung und ein Leben mit Kindern zu erleichtern.
Es geht um anderes: Frauen sollen dazu gezwungen werden in ihrer traditionellen Rolle zu verhar-
ren.
Es wurde richtigerweise erkannt, daß Frauen gerade mit dem Thema Kinder emotional zu packen sind. Die meisten Frauen wünschen sich Kinder, aber nicht um jeden Preis. Heute haben Frauen bessere Möglichkeiten als früher, diesen Kinderwunsch zu steuern, sozusagen nicht mehr ihrer körperlichen Möglichkeit ausgeliefert zu sein.
Sie sind auf dem Weg, freier über ihr Leben entscheiden zu können. Das wollen die Reaktionäre verhindern, deshalb versuchen sie, den Frauen ein schlechtes Gewissen einzureden. Beugen sie sich nicht ihrer „ehtischen Pflicht“, ihrem „biologischen Zwang“ ,dann sind sie eben doch keine richtigen Frauen.
Es ist ein Zynismus ohnegleichen, Frauen als Mörderinnen zu denunzieren und ihnen gleichzeitig jede Sicherheit zu nehmen (Wohnung, Arbeit, Schutzgesetze, Kinderbetreuung …).
Es ist der Zynismus der Herrschenden in diesem Land, denen es um die Erhaltung ihrer Macht geht. Deshalb werden Frauen in schlechte und gute aufgeteilt, in solche, die abtreiben oder ge-
bären, werden Männer und Frauen als Lohnabhängige gespalten. Dabei sollen die Frauen als industrielle Reservearmee zur Verfügung stehen, die bereit sind, die schlechtbezahlten Jobs zu nehmen, die befristeten Verträge, die Teilzeitarbeit, je nach Bedarf, ex und hopp. Im Gegensatz zum Mann sind ihre Aufgabe doch die Kinder – oder?
DGB Kreis München. Kreisfrauenausschuß (Hg.), Beraten — verraten? Kein Beratungsgesetz zum § 218, (München 1988), 30 ff.