Materialien 1974

Erlauscht

Franz Xaver Kroetz über die Laimer Giftröhre

„Es is kein Geld da, es is überhaupts kein Geld da, gar keines!“ sagt der Stadtrat und wiederholt es so oft, bis er es am End seIber glaubt.

„Wo bitte is das Geld denn hin?“

„Fort!“

„Mit welchem Verkehrsmittel?“

„Was?“

„Na, es könnt doch sein, daß man seine Flucht verfolgt und es findt. Aufgelöst kann es sich doch ned habn, und verbrennt is bestimmt auch ned wordn.“

Über soviel Naivität lacht der Stadtrat herzlich und lang.

„Einen Wink, wo es is, könnt ich Ihnen schon gebn, aber so ein Wink is sauteuer!“ Und schaut mit seine wasserblauen Zeisigaugen schwarz funkelnd auf den Laimer Bürger.

„So, so“ sagt der, „des is klar, alles hat seinen Preis, aber wissens, ich tät das Geld ja gar ned für mich brauchen, sondern für die Laimer Bevölkerung, weil mir nämlich mit dem Geld eine Ober- oder eine Unter-, jedenfalls eine abgasfreie Führung für die Fußgänger beim Laimer Tunnel machen tätn. Das is auch ned bloß meine Idee, Herr Stadtrat, des is ein Beschluss der Bürger-
versammlung UND des Bezirksausschusses und er liegt Ihnen auch vor, allerdings hat er inzwi-
schen Dringlichkeitsstufe St. Nimmerleinstag und deswegn frag ich an.“

Der Stadtrat schaut verwundert.

„Also ich merk nix von Abgase, wenn ich durch die Laimer Unterführung fahr, allerdings mach ich vorher auch die Fenster von meinem Mercedes zu, das tät ich die andern auch empfehlen und stell die Heizung kurz ab.“

„Herr Stadtrat, ich bin doch FUSSGÄNGER!“

„Fußgänger?“ schnauft der Stadtrat, „da schau her! Wenns mich fragen: Wo ham denn mir noch Fußgänger, ha? Die sind doch höehstens eine provokatorische Erfindung von den Kommunisten!“

„Wie bitte?“ sagt der Laimer Bürger und staunt über soviel Volksnähe.

„Aber, bittschön Herr Stadtrat,“ stottert er, „dann gehns doch einmal , z.B. in der Stoßzeit in der Früh oder am Abend, hin und schauns Ihnen die Leut an, die da gehn, da werdns bald dertretn vor lauter Fußgänger!“

„Und da soll ich hin, damit ich dertretn werd, meinen Sie?“ sagt der Stadtrat und schaut den Lai-
mer Bürger inzwischen an, wie man einen Tiger anschaut, der einem im Olympiapark mit aufge-
rissenem Maul entgegenrennt.

„Aber nein, Herr Stadtrat, Sie können ja mit Ihrem Mercedes in der Stoßzeit einmal mitten im Tunnel ein bißl stehen bleiben und die Massen besichtigen. Ihnen als Stadtrat tut ja eh kein Polizist was, weil im Tunnel is nämlich sonst Halteverbot.“

Da reißt dem Stadtrat die Geduld: „Was“, schreit er, „in diesem giftigen Loch soll ich auch noch stehen bleiben und die Soß einatmen, die keine Luft mehr is?“

„Machens halt, wies sagn, die Fenster zu und die Heizung aus, dann gehts doch!“

„Damit ich erstick und erfrier!“

„Und die Laimer Bevölkerung, Herr Stadtrat?“ fragt der Bürger kleinlaut.

„Die kann mich ‒“ er schaut und stockt, „die kann mich im Rathaus besuchen!“

„Und die Arbeiter und die berufstätigen Frauen, die den ganzn Tag schuftn und dann auch noch aus der S-Bahn außer durch die – wie Sie selber sagn – Soß gehn müssen?“

„Die“, er runzelt die Stirn, der Herr Stadtrat, „die können sich sowieso trösten, ned wahr, weil, wenn wir an Weihnachten eine Million Arbeitslose ham, dann is klar, dass sich das auch auf die Laimer auswirkt und dann gehen in der Stoßzeit weniger arbeitende Menschen durch den Tunnel, die ergo weniger Luft brauchn.“

„Herr Stadtrat, jetzt versteh ich garnix mehr“, jammert der brave Laimer Bürger, „ich hab gmeint, die Arbeitslosen sind eine Erfindung der Kommunisten?!“

Da lächelt der Stadtrat: „Nein, dann kann ich Sie beruhigen, die sind eine Erfindung von uns und von denen, für die der Münchner Stadtrat arbeitet!“

„Wer is des?“

„Wissens“, sagt der Herr Stadtrat und geht langsam rückwärts davon, „ich muss jetzt in eine Sit-
zung, leider!“ Und weg is er.

Der Laimer Bürger steht und schaut und reibt sich die Augen und schüttelt den Kopf und geht dann auch. Ob das das Ende is?


DKP Arbeitskreis Kommunalpolitik Laim 7 vom November 1974, 3 f., Nachlass Zingerl, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

Überraschung

Jahr: 1974
Bereich: Stadtviertel