Flusslandschaft 1995

Frieden/Abrüstung

Das Motto des Ostermarsches am 15. April lautet: „Frieden schaffen ohne Waffen!“ Etwa dreihun-
dert Menschen ziehen von der Münchner Freiheit zum Marienplatz. In seiner Ansprache führt Carl Amery die magere Beteiligung auf den „Niedergang der Friedensbewegung“ zurück. „50 Jahre nach dem Ende des Weltkriegs hätten die meisten Menschen die Hoffnung aufgegeben, dass die Staaten zugunsten des Weltfriedens auf ihr Souveränitäts- und Gewaltmonopol verzichten würden. Der ‚Kodex militärischen Machterhalts’ sei ungebrochen. Das habe sich im Irak gezeigt, wo der Diktator wie einst Hitler lange vor Kriegsausbruch ‚hochgepäppelt’ und von deutschen Firmen mit ‚Giftga-
sen, die den in Auschwitz verwendeten ganz ähnlich sind’, beliefert werden konnte – ohne Protest der deutschen Friedensbewegung: ‚Sie hat geschlafen!’ Und auch in Europa ‚sind wir wieder, wo wir schon 1920 waren – beim Balkankrieg’. Zwar habe es Friedensbemühungen mit Erfolgsaus-
sichten gegeben, etwa den Versuch, eine ‚Internationale der Helsinki-Komitees zu schmieden’, sie seien aber nicht unterstützt worden.“ Einige „politische Bilder“ illustrieren den Zug. „So ging etwa ein ‚Schübling’ (Abschiebe-Häftling) in einem Drahtgitter; eine Frau im schwarzen Richtertalar hob drohend einen hölzernen Paragraphen; hinter ihr rollte eine Litfaßsäule in Öltankform, die für die Interessen der G-7-Länder warb (‚Billige Arbeitskräfte …’). Die ‚Truderinger Frauen für Frieden und Abrüstung’ trugen den ‚Sarg für den 1. deutschen Helden im ‚Out-Of-Area-Einsatz’ mit, auf dem Rücken Stoffpuppen, die vergewaltigte Frauen und tote Kinder darstellten. Dazu ertönte laut das Trommeln und Pfeifen der ‚Le Truc’-Band … Eine kleine Pantomime zeigte unterwegs ‚Solda-
ten’ mit Gasmasken, die einander, von Weib und Kind zum Frieden bekehrt, in die Arme fielen. Das Spiel wurde am Marienplatz wiederholt – die den Kaufhauseingängen zuströmende Masse freilich nahm auch davon nur flüchtig Notiz.“1 – Am 13. Mai diskutieren im Großen Sitzungssaal des Rathauses bei der Veranstaltung „Gesellschaft im Wandel – Was hat sich friedenspolitisch seit 1945 verändert?“ P.J. Allen, Mitglied der Campaigne for Nuclear Disarmement, Großbritannien, Albert Samuel, Historiker, ehemaliger Zwangsarbeiter in einem Rüstungsbetrieb in Hamburg, seit-
dem engagiert in der Friedensarbeit, Dr. Cathy Stodolsky, Historikerin und Mitarbeiterin im Ame-
rican Peace Committee
, Prof. Dr. Uwe-Jens Heuer, Wirtschaftsrechtler und Staatsrechtler, MdB und Prof. Eleonore Romberg, Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit und Trägerin des Friedenspreises der DFG-VK Bayern unter der Moderation von Marion Lehmicke. Am Abend des gleichen Tages spielen Esther Bejarano2 und die Gruppe Coincidence jiddische Lieder im Ge-
meindesaal St. Sebastian in der Hiltensbergerstraße 115.

Am 1. September kommt es auf dem Stachus zu einer Kundgebung unter dem Motto „Gegen deut-
schen Militarismus weltweit“.

Am 28. Oktober liest der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt vor der Feldherrnhalle Texte gegen den Krieg.3

„Da werden die Touristen, aber auch die Münchner ganz schön erstaunt gewesen sein, als sie am 18. November 1995 das Glockenspiel bewundern wollten. Da wurde nämlich eine Atombombe ge-
zündet. Keine echte natürlich. Die Münchner Freidenker-Jugendgruppe führte einen symbolischen Atombombentest in Bild und Ton vor. Sie hatten ein Atomzeichen auf einen Fallschirm geklebt, sich außen herum gestellt und die Erde in Form einer Wasserball-Weltkugel bei heiterer Musik auf dem Fallschirm herum geschussert. Dann wurde auf französisch rückwärts gezählt. Bei Zero gab es einen lauten Knall, bei dem der Fallschirm dann endgültig in die Luft geworfen wurde und alle Teilnehmer darunter rannten und sich dann auf den Boden warfen. Langsam sank der ‚Atompilz’ auf die ‚Opfer’ nieder. Dazu die Musik ‚Aeneas Tod’ von Per Gynt. Parallel wurden Flugblätter ver-
teilt, auf denen, ebenso wie auf aufgestellten Plakaten, der Aufdruck ‚Stoppt Chirac’ stand. Und dann natürlich eine Erklärung auf der anderen Seite. Unterschriften wurden selbstverständlich auch eifrig gesammelt. Etwa 10 Minuten später gings trotz eisiger Kälte nochmals von vorne los und nach einer dritten Runde kam dann die wohlverdiente ‚Spachtelstunde’ in der ‚Schmalznudel’. Alexandra (für die ‚neue’ Jugendgruppe)“4

Siehe auch „Gedenken“.


1 Süddeutsche Zeitung 89 vom 18. April 1995, 37. Siehe die Bilder vom „ostermarsch“ von Cornelia Blomeyer.

2 Esther Bejarano war während der Nazizeit vier Jahre in Auschwitz und Ravensbrück inhaftiert. Sie war Mitglied des Mädchenorchesters in Auschwitz-Birkenau, das morgens und abends zum Marsch der Arbeitskommandos spielen musste und gezwungen wurde, zur „Entspannung“ von Lagerkommandatur und des berüchtigten Dr. Mengele Konzerte von Schumann und Puccini zu geben.

3 Siehe „Erinnerung“ von Artur Troppmann.

4 Freidenkerinfo vom Januar 1996, 16.