Flusslandschaft 1995

Kunst/Kultur

… April, „Bullenbilder. Karikaturen und Zeichnungen des ‚kritischen Polizisten’ Karl Söllner“ Und: „Grenzübergänge – vom Umgang mit Fremden. Plakate, Broschüren, Videofilme der Fachhoch-
schulklasse für Kommunikationsdesign“, zwei Ausstellungen in der Seidlvilla in Schwabing …

Installation

Franz Kochseder und Wolfram Kastner zeigen ab 30. März »Vergessen — eine Straße / Weg nach Dachau« mit Photographien in der Rathaus-Galerie, mit vergrößerten Fotokopien auf Stellwänden an der Dachauer Straße und mit einem Videofilm in einem Container auf dem Gelände der Versöh-nungskirche in Dachau.

Keine Unbill ahnend verläß Mitte April ein argloser Mitmensch mit seinem rot lackierten, aber schon sehr verrosteten R4 München. Er strebt den Bergen zu: Wandern in frischer Luft, saftige Almwiesen, herrliche Ausblicke. Zur Linken die wuchtige Fassade des Altersheims will er rechts Richtung Süden abbiegen, da sieht er und denkt erstaunt, dass er vielleicht schon da ist: Kühe, eine friedlich grasend, stehen am Straßenrand, allerdings nur aus Holz, lebensgroß ausgesägt und weiß lackiert. Ein seltsames Gefühl streift da den Automobilisten. Wehmut? Schuld? Er tippt aufs Gas-
pedal und erfährt erst viel später, dass die Obrigkeit beinahe verhindert hätte, dass Michael Mi-
ritsch hier seine Kühe aufstellt. Jetzt denkt er: Das war bestimmt das letzte Mal, dass ich am Luise-Kiesselbach-Platz Rindviecher gesehen habe. Aus seinem Kassetten-Recorder klingt eine Mund-
harmonika und ein Mann singt: „The Times They Are A-Changin’.“

Kabarett

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»,BEI DER KULTURSTIFTUNG Weichfeigkonzern. gibt es heute die Haute Cuisine der Sahel Zone – ohne uns!‘ – ‚Da macht man sich nur die Finger schmutzig. Ich behalte lieber meine dreckigen Hände.‘ (Christian Springer und Helmut Schleich vom Kabarett Fernrohr in ,Handlanger’, bis zum Sonntag im Hinterhof-Theater)«2

Musik

Am 9. Juli tritt Mikis Theodorakis mit dem Athener Staatsorchester und dem Athener Rundfunk-
chor auf dem Königsplatz auf.

Stadtteil-Bibliotheken

„Zum Artikei vom 17.7.1995, Seite 12 ‚Eine Atempause für die letzten Leser‘: Erstaunt und wütend muß man zur Kenntnis nehmen, daß jetzt doch Stadtteil-Bibliotheken geschlossen, werden. Im-
merhin war ein Grund, der für die umstrittene und unsoziale Einführung von Bibliotheks-Gebüh-
ren vorgebracht wurde, der, daß dadurch die Schließung von Bibliotheken verhindert würde. Jetzt also, wo die Leserzahl aufgrund der Gebühren deutlich geschrumpft ist, ist dieses Versprechen nur noch Makulatur und die gesunkene Leserzahl wird zynischerweise als Begründung für die Schlie-
ßung ins Feld geführt. Insoweit kann man der Autorin des Artikels nur zustimmen, wenn sie schreibt, daß ,alle hehren Ziele wie Bildungs- und Leseförderung dem Haushaltsplan geopfert’ wurden. Und noch ein Verweis auf das Service-Angebot der Bibliotheken selbst (das diese ja ver-
bessern wollen): Ich habe die Gebühr bezahlt und habe es auch in Zukunft vor. Doch weil ich dies nach Ablauf des Gültigkeitsdatums meines Ausweises bisher noch nicht geschafft habe, wurde mir eine telephonische Auskunft zu meinen Medien glatt verweigert. Sämtliche Verbindungen wurden gekappt, als Leser existiere ich erst wieder, wenn ich gezahlt habe. ,Verbesserte Dienstleistungen’ sind das ganz gewiß nicht! Wolfgang Schwirz, Lazarettstraße 35, 80636 München“3

Theater

Am 16. Januar berichtet das bayrische Fernsehen über das proT und interviewt Alexeij Sagerer.4

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Schwierige Zeiten für kleine Theater: Die Stadt München verweigert ihren jährlichen Zuschuss, den nur noch Bühnen bekommen, die über 150 Aufführungen im Jahr nachweisen. Das Kinder-
theater
in der Dachauer Straße 46, das Theater am Sozialamt und das Rationaltheater prozes-
sieren am 30. Mai vor dem Münchner Verwaltungsgericht. Reiner Uthoff: „Wir sind unverschuldet in eine wirtschaftliche Notsituation geraten, für die die chaotische Kulturverwaltung der Landes-
hauptstadt und ihr sprunghafter Referent mitverantwortlich sind.“6

Oktober: Für das neue Theaterfestival „Spiel.Art“ kommen Ensembles aus Japan, England, Italien und den USA nach München. C. Bernd Sucher: »Darauf haben wir lange warten müssen: Endlich gibt es in München wieder ein Theaterfestival. Ein klitzekleines nur, aber immerhin! Gewiß sind die zwölf „Spielart“-Tage nicht zu vergleichen mit dem Münchner Theaterfestival der achtziger Jahre, schon gar nicht mit dem Theater-der-Welt-Fest, doch daß die Münchner wieder einmal Schauspiele und Choreographien aus dem Ausland zu sehen bekommen, muß sie freuen – ganz gleich wie gut oder schlecht die einzelnen Produktionen sein werden. Einige der Aufführungen waren bereits anderswo zu sehen – auch in Deutschland, auch in Österreich..Das ist nicht schlimm, nur beweist diese Münchner Wiederholung, daß, abgesehen von August Everdings kleinem März-Festival, einigen Einladungen des Residenztheaters und engagierter Privatleute (beispielsweise des Tollwood-Festivals mit seinen Aktionstheatertagen), in München weder Geld noch übergroßes Interesse vorhanden ist, das Fremde zu zeigen und zu sehen. In Berlin kümmert sich das Hebbel-
theater kontinuierlich um Gastspiele, in Frankfurt das TAT, und in Salzburg gibt es allsommer-
lich eine „Szene“. In München gibt es nichts. München schläft! Vielleicht wird „Spielart“ ein lauter Weckruf. Wenig wünschen wir uns sehnlicher.«7

13./14. Oktober: „Theater der Unterdrückten“ mit Augusto Boal in der Fachhochschule Pasing

(zuletzt geändert am 11.8.2025)


1 Photo: Volker Derlath

2 Süddeutsche Zeitung 113 von 17. Mai 1995, 15.

3 Süddeutsche Zeitung 178 von 4. August 1995, 40.

4 Siehe https://www.youtube.com/user/proTshortcuts/featured und naturgemäß https://www.prot.de/index.php.

5 Süddeutsche Zeitung 85 vom 11. April 1995, 44.

6 Süddeutsche Zeitung 123 vom 30. Mai 1995, 33.

7 Süddeutsche Zeitung 227 vom 2./3. Oktober 1995, 16.

Überraschung

Jahr: 1995
Bereich: Kunst/Kultur

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