Materialien 1981

Plädoyer für die Angst

Bei einem Schulausflug im letzten Sommer wagte ein Schüler, nicht zu sagen, daß er nicht schwimmen kann. Er ist einfach den anderen in’s Wasser gefolgt und wortlos ertrunken. Dabei wollte er in dieser Gesellschaft nur nicht untergehen.

Lied

Wenn Kinder lieber sterben,
Als verlacht zu werden.
Wenn Totsein leichter scheint,
Als einmal nicht dabei zu sein.
Wenn Kinder lieber schweigend ein Grab besteigen.
Als ein Wort zu sagen, daß zur Rückkehr zwingt.
Dann wissen wir, wie weit wir alle sind

lch habe Angst, mein Kind,
Daß Du mal keine Angst mehr hast,
Weil Angst Dir keine Punkte bringt.

Komm her, und scheu Dich nicht vor Deiner Angst,
Denn ich hab’ meine viel zu oft versteckt.

lch habe Angst, von Euch nicht mehr gebraucht zu werden.
lch habe Angst, lhr sagt, jetzt ist er fad geworden.
lch habe Angst vor einem Krieg.
lch habe Angst, in schweren Zeiten zu versagen,
Doch Dir kann ich’s ja sagen.
Dann ist es halb so schlimm.
Die Angst schützt Dich vor falschem Mut.
Mein Kind, die Angst ist gut.

Sag mir immer, wenn Du Angst hast,
Dann haben wir gemeinsam Angst.
Und können den Angstmachern
Nachher vielleicht sogar den Weg abschneiden.
Doch laß die Angst Dir nie beim Quaksalber austreiben.

Angst ist keine Krankheit.
Angst ist manchmal Pflichtl
Angst beschützt!
Angst nütztl
Angst zeigt den Notausgang.
Wer Angst hat, lebt oft ziemlich lang.

Doch wieviel Mut braucht es heute,
um seine Angst zu tragen,
Weil Valium viel leichter ist.


Helmut Ruge, Zwischen Wut und Sehnsucht, Nürnberg 1981.

Überraschung

Jahr: 1981
Bereich: Frieden/Abrüstung