Flusslandschaft 1997

Religion

„Die Ablehnung der Verfassungsbeschwerden gegen das berüchtigte ‚Kruzifix-Gesetz’ des Frei-
staates Bayern ist ein Schlag gegen die Rechtseinheit in der Bundesrepublik. Systematisch unterminiert die CSU und das ihr mehrheitlich auf das engste verbundene Landesverfassungs-
gericht die Autorität des Bundesverfassungsgerichts. Das oberste deutsche Gericht hat sich klar und unmissverständlich für die weltanschauliche Neutralität des Staates entschieden. Die jetzige Zwangsbekreuzigung steht in totalem Gegensatz zu dieser eindeutigen Rechtslage. Das Bayern eines Edmund Stoiber bricht, wie beim Zwangsberatungsgesetz für Schwangere, vorsätzlich mit taktischem Kalkül das Grundgesetz. Auf dieser Linie liegen auch die Bestrebungen der CSU, die Meinungsfreiheit für Kritik an den Kirchen durch eine Verschärfung des ohnehin obsoleten ‚Got-
teslästerungsparagraphen’ § 166 des Strafgesetzbuches zu unterbinden. Die Humanistische Union appelliert an die Klägerinnen und Kläger, sich durch diese Entscheidung nicht entmutigen zu las-
sen und erneut das Bundesverfassungsgericht anzurufen. In einer offenen und demokratischen Gesellschaft hat ein klerikaler Neo-Fundamentalismus keinen Platz.“1

„Kardinal Wetter ist blind gegenüber dem wirklichen Leben. – Zu der Weihnachtspredigt von Kar-
dinal Wetter erklärt der Sprecher des Landesverbands Bayern der Humanistischen Union, Prof. Dr. Wilhelm Hering: Die Äußerungen von Kardinal Wetter in der Frauenkirche fordern Entsetzen und entschiedenen Widerspruch heraus. Den meisten Menschen ist der Unterschied zwischen einem befruchteten Ei und einem Kind, das geboren und viele Jahre in Liebe großgezogen wurde, offenkundig. Wenn der Kardinal von ‚kleinen Natalies, die im Schoß der Mutter getötet werden’ spricht, so rückt er damit Frauen und Mütter, die sich schweren Herzens zu einer Abtreibung ent-
schließen, in die Nähe von Sexualverbrechern. Dies zeugt von einer Blindheit gegenüber dem be-
sonderen Wert des geborenen Lebens und einer Ahnungslosigkeit vom wirklichen Leben, die bei einem hohen Vertreter der kirchlichen Hierarchie zwar nicht unerklärlich, aber zutiefst erschrek-
kend sind.“2


1 Mitteilungen der Humanistischen Union 159 vom September 1997, 95. Siehe auch Thies Marsen, Josephs Jüngster wieder nicht versetzt, in: Jungle World 32 vom 7. August 1997, https://jungle.world/artikel/1997/32/josephs-juengster-wieder-nicht-versetzt.

2 Münchner Lokalberichte 1 vom 15. Januar 1998, 9.

Überraschung

Jahr: 1997
Bereich: Religion