Materialien 1972
Sporthilfe für Sepp Niedermaier
von „Rainer Zwing“ [zwingt schwarz-braun raus, zwingt rot rein]
Die Olympiade hat es uns wieder so recht vor Augen geführt, wie gesund der Sport ist für die Sportler im Allgemeinen und für viele Sportartikelfirmen im Besonderen. Von den Olympiabau-
firmen ganz zu schweigen, die haben sich ganz besonders gut freigeschwommen, mit Hilfe der staatlichen Förderung zur Errichtung gewinnträchtiger Eigentumswohnungen.
Den Petrie Wolfgang, hoffnungsvoller Schlußmann der Tulbeckstraßler und stud.metzger im drit-
ten Semester beim Meister Meier in der Gollierstraße, kann eben noch mit gekonntem Griff das Leder in Sicherheit bringen – aber nicht vor der weniger gefährlichen Stiefelspitze von Sito, dem Stürmer der Kazmairstraßen-Kicker, sondern vor den Fängen des ehrengeachteten städtischen Wannenbadewarts, dem solche Spiele auf der Asphaltpiste neben dem Freizeitheim mißfallen. Trotzdem es doch der einzige Platz auf der Schwanthalerhöhe ist, der von einem sportbegeisterten Stadtrat in einer besonders schwachchen Viertelstunde einmal in Auftrag gegeben wurde.
„Schauts ned, daß’da weiter kummts, den Krach nach Feierobmd“, meutert der Hoheitsträger der Wannenbäder den entfleuchenden Amateur-Beckenbauers nach.
„Wo soi ma nacha hiegeh?“ trotzt der Niedermaier Adi, ohne eine erschöpfende Antwort zu be-
kommen oder zu erwarten.
Wo soll er denn hingehen ? Für das Millionenkarusell auf, dem Oberwiesenfeld ist er nicht zuge-
lassen, auch die Ringerhalle nützt ihm nichts, ob wohl sie uns im Viertel wieder ein Stück freien Auslauf gekostet hat.
Schon in der Schule gab es wenig Möglichkeiten, „zum gesunden Geist einen gesunden Körper“ mittels entsprechender Betätigung zu erhalten, wie es von den Moralaposteln verschrieben wird. Weil die Turnhalle gerade noch den Raucherhusten des Hausmeisters ausgehalten hat, keinesfalls aber ein Handballmatch des Schwanthalerhöher Nachwuchs. Es sei denn, man hätte riskiert, die zweite Halbzeit im Keller zu beenden, in den man fünf Minuten nach dem Anpfiff durchgefallen wäre. So nimmt es kaum Wunder, wenn aus unserem Viertel keiner unter der „Jugend der Welt“ war, für deren Treffen vier Jahre lang die Millionen von uns locker gemacht wurden.
„Mei, mia hamm a koan Sportplods kennd, wia rna jung warn, und es is a ganga“, meint ein Kartler vom Gollierplatz und spielt seinen blanken Graszehner aus. Mühsam, weil ihn halt die Gicht schon sehr plagt. Gegangen ist es schon, erinnert sich der Rainer Zwing. Aber damals standen eben der Elf von „FC Haudanebm“ noch die Wiesn zur Verfügung, die damals noch eine war und noch nicht Ausweichparkplatz für die lackglänzenden Wirtschaftswunderkühe mit Stern der Messekunden. Auch die Treibballausscheidung auf der Traummeile, der Bergmannstraße, von der Landsberger bis zur Ridlerstaße war noch ziemlich gefahrlos möglich, weil kaum ein PS-gestärkter Sportwagen-Fan uns das Pflaster streitig machte.
Der Bademeister von der Westendstraße braucht nach einem anstrengenden Arbeitstag seine Ruhe, das möchte ich gar nicht bestreiten. Aber die metzelergeräucherten Lungen der Jugend in unserem Viertel brauchen auch einen Platz, wo man nicht nur im 100-Meter-Leisetreten trainieren kann.
Der Rainer Zwing wüßte auch gleich ein paar mögliche Plätze, die man dafür herrichten könnte: Den Parkplatz hinter der Ausstellung an der Heimeranstraße, die Umkehrschleife an der Gangho-
ferstraße, die für den Sendling-Schwabing-Express keinen besonderen Gebrauchswert mehr hat, seit die Linie 22 durch den Bus ersetzt wurde, oder das Steinlager an der Ridlerstraße. – Sonst könnte vielleicht nicht nur der eine oder andere meinen, Sport ist etwas, das man für viel Geld bei Neckermann kaufen kann, in der Fernsehabteilung.
Westendzeitung. Stadtteilzeitung der Deutschen Kommunistischen Partei von Anfang Oktober 1972, 4 f., Nachlass Zingerl, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung