Materialien 1995
Vermerk bei Schwulen – Spitze eines Eisbergs
Betrifft: Polizeivermerke in Ausländerpässen
Es ist schon erstaunlich, wie es die bayrische Polizei versteht, ihre diskriminierende Haltung gegenüber Schwulen unter der Oberfläche zu halten und öffentlich gemachte Entgleisungen als einmalig und nicht als Spitze des Eisberges, die sie in Wirklichkeit darstellen, erkennen zu lassen.
Nahezu jeder Beamte arbeitet so, wie er glaubt, daß sein Vorgesetzter es von ihm erwartet, schließlich will er ja in naher Zukunft befördert werden. So auch die beiden Beamten, die durch ihre Paßeinträge in die Schlagzeilen geraten sind. Der Fisch fängt beim Kopf an zu stinken, das heißt, würde in der bayrischen Polizei nicht von oben herab ein antischwules Klima herrschen, wäre es zu dieser Situation gar nicht erst gekommen.
Solange aber von oben Entscheidungen gefällt werden wie die Verweigerung eines Schwulenbe-
auftragten oder namentliche Feststellung der am CSD im Fummel teilnehmenden Schwulen, wird der einfache Beamte sich einen Reim daraus machen und die verhaßten Schwulen unterdrücken. Er ist sich der Tragweite seines Handelns womöglich gar nicht bewußt, trotzdem sollten die Vorge-
setzten nicht versuchen, abzuwiegeln. Geschweige denn Vergleiche mit der Nazi-Zeit weit von sich zu weisen. Schließlich ist es die Grundhaltung, die die Atmosphäre schafft. Und um Himmels wil-
len, sind diese Eintragungen ja eventuell sogar Todesurteile. In Rumänien wird Homosexualität mit Gefängnis, wenn nicht sogar wie in Bosnien mit der Todesstrafe bedroht. In den KZs sind ja keine Homosexuellen umgekommen oder interniert worden, sonst würden sie oder ihre Angehö-
rigen ja eine Entschädigung bekommen.
Jetzt gibt es ja wenigstens einen Gedenkstein in Dachau. Aber wer hat davon schon gehört.
Johannes Schick
Gabelsbergerstraße 63
80333 München
Süddeutsche Zeitung 198 vom 23. August 1995, 34.