Flusslandschaft 1952

Wiedergutmachung/Entschädigung

Am 21. April steht ein schwarzer Holzsarg mit sechs großen Trauerkränzen vor dem Hauptportal des bayerischen Finanzministeriums. Die Inschriften auf den Kranzschleifen beklagen die Ver-
schleppung der Wiedergutmachung zugunsten der Wiederaufrüstung. Zwei KZ-Stoffmützen liegen auf dem Sargdeckel.

Mitte April beginnt der Prozess gegen Philipp Auerbach, den Präsidenten des Bayerischen Landes-
entschädigungsamtes für rassisch, politisch und religiös Verfolgte
. Dem Schreiber dieser Zeilen wurde von einer ehemaligen Mitarbeiterin des Amtes versichert, Auerbach habe sehr oft bei augen-
scheinlichen Notlagen unbürokratisch geholfen und dabei verschiedene Ausgaben des Amtes nicht verrechnet, sich aber nie persönlich bereichert. In der damaligen Situation hätte man auch gar nicht anders handeln können. Tatsächlich sei er von einflussreichen Politikern „abgeschossen“ worden, nachdem er mit seinem öffentlichen Auftreten für die Opfer des Nationalsozialismus „an-
geeckt“ sei. Schärfster Widersacher Auerbachs war Justizminister „Ochsensepp“ Josef Müller. Egal: Auerbach, der fünf Jahre KZ überlebt hat, vergiftet sich nach seiner Verurteilung zu zwei-
einhalb Jahren Haft am 16. August mit Schlaftabletten.1 Bei der Beerdigung werden auf dem jüdi-
schen Friedhof aus den trauernden Displaced Persons wütende Demonstranten. Zivil gekleidete Kriminalbeamte versuchen Transparente zu beschlagnahem und werden von der Trauergemeinde verjagt. Daraufhin greift das bereitstehende Einsatzkommando der Polizei ein und „säubert“ Fried-
hof und Eingangsbereich mit der Unterstützung enes Wasserwerfers. „Das kompromisslose Vorge-
hen der Polizei gegen eine keineswegs von sich aus gewalttätige Menschenansammlung ist … in er-
ster Linie als Bemühung zu deuten, das an die ausländischen, insbesondere die jüdischen DPs in den Jahren zuvor verloren gegangene Terrain in München zurückzuerobern.“2

(zuletzt geändert am 15.1.2021)


1 Vgl. Otto Gritschneder, Der Auerbach-Prozess, in: Ders., Randbemerkungen, München 1984, 55 ff.; Rudolf Neumaier, Opfer seiner Pflicht. Die Affäre Auerbach – erstmals stand wieder ein prominenter Jude vor einem deutschen Gericht, und frühere Nazis verurteilten einen kranken Mann, in: Joachim Käppner/Robert Probst (Hg.), Befreit. Besetzt. Geteilt. Deutschland 1945 – 1949, München 2006, 118 f. und Wolfgang Zorn, Bayerns Geschichte im 20. Jahrhundert. Von der Monarchie zum Bundesland, München 1986, 633 f.

2 Gerhard Fürmetz: Polizei, Massenprotest und öffentliche Ordnung: Großeinsätze der Münchner Polizei in den frühen fünfziger Jahren, in: Christian Groh (Hg.), Öffentliche Ordnung in der Nachkriegszeit, Ubstadt-Weiher 2002, 89.