Flusslandschaft 1999

AusländerInnen

Am 13. März findet eine Demonstration für die doppelte Staatsbürgerschaft statt. Viele Teilnehmer kritisieren die Kampagne der CSU, die diese ablehnt. Die Polizei nimmt fünfzehn Personen fest; der bayrische ÖTV-Vorsitzende kritisiert den Polizeieinsatz als „völlig unverhältnismäßig“.1

„… Ausländer sind ,Gäste’, die sich benehmen müssen. Armut stört vor allen Dingen das Bild der sauberen Innenstädte, und das größte Problem sind Graffiti auf den U-Bahnwagen. Die mythische Gleichung im Urgrund der deutschen Seele ist die Verbindung von deutsch = ordnungsgemäß. Multikulturalität, Anerkennung von Differenz, nationale Großherzigkeit oder auch nur wohlwol-
lende gegenseitige Mißachtung sind dem deutschen Wesen fremd. Wenn ihm Unbill droht, kann sich der Deutsche auf Vater Staat verlassen. Aber der möge bitte für Ordnung sorgen und vor allen Dingen niemanden adoptieren.“2

Am 13. Juni ist Oberbürgermeisterwahl. Für die CSU kandidiert Aribert Wolf. „Überall dort, wo der Ausländeranteil höher ist als 25 Prozent, will er dafür sorgen, dass nur noch deutsche Familien auf der Warteliste für Sozialwohnungen zum Zuge kommen.“3

„Die Türkin Sema Karakas, die als Kleinkind 1977 nach Deutschland gekommen war und in Bayern lebt, resümiert: ‘Vor etwa zwei Jahren habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Die Ent-
scheidung fiel mir nicht schwer, denn ich wusste genau, dass ich mit meinen ausländischen Papie-
ren nie bevorzugt und beliebt sein und immer an letzter Stelle stehen würde. Es ist sehr bedauer-
lich zu erwähnen, dass ich noch immer als Fremde angesehen werde. Ich kann nicht verstehen, wa-
rum wir uns auch äußerlich verändern sollen. Wenn man sich einmal überlegt, dass ein Bayer in seinem Urlaub auf seine Lederhose auch nicht verzichten mag … Ich finde es normal, wenn eine Frau aus dem Iran auf ihren Schleier nicht verzichtet. Es gibt auch keinen Grund, einen Menschen lächerlich zu machen, wenn er als Muslim fünfmal am Tag sein Gebet verrichtet. In einem Land, in dem eigentlich Religionsfreiheit besteht, ist es nicht wert sich länger über diese Sache zu unterhal-
ten. Jeder einzelne Mensch auf dieser Welt hat das Recht auf seine Art und Weise zu leben, gleich-
gültig wie er aussieht, welche Sprache er spricht und welchen Beruf er ausübt. Deswegen ist es wichtig, Leute nicht zu unterscheiden, sie nicht mit tödlichen Blicken zu erniedrigen, sondern sie zu respektieren. Sonst hat die Gesellschaft keinen Wert. Wie müsste denn einer aussehen, um nicht als Fremder angesehen zu werden?’“4

Siehe auch „Ressentiments“.


1 Siehe „Staatsbürgerschaftsrecht“.

2 Reinhard Kreissl: „Wer gehört zu uns? Einschluß und Ausschluß in westlichen Gesellschaften“ In: Süddeutsche Zeitung 62 vom 16. März 1999, 15.

3 Süddeutsche Zeitung 128 vom 8. Juni 1999, L3.

4 Robert Schlickewitz, Sinti, Roma und Bayern. Kleine Chronik Bayerns und seiner „Zigeuner“, 2008, www.sintiromabayern.de/chronik.pdf, 169 f.

Überraschung

Jahr: 1999
Bereich: AusländerInnen

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