Materialien 1975

Arbeitsplätze im Süddeutschen Verlag bedroht

Die Kollegen in der Akzidenzsetzerei des Süddeutschen Verlags wurden Ende Januar auf einer Abteilungsversammlung von der Nachricht überrascht, daß sie seit gut drei Wochen, genau seit dem 1. Januar 1975 zu der Firma Karl Wenschow gehören. Zwei Condormaschinen würden ver-
kauft, bei Wenschow würde eine Fotosatzabteilung aufgebaut und eine 0ffsetmaschine ange-
schafft, die Produktion von Bleisatz könnte damit für den Akzidenzbereich wegfallen.

Von diesen „Neuigkeiten“ waren sogar Abteilungsleiter überrascht. Sie konnten feststellen, daß sie allen Illusionen zum Trotz auch „nur“ Lohnempfänger sind, wenn es der Geschäftsführung so paßt.

Was mögen nun die Gründe sein, die die Gesellschafter des SV zu diesen einschneidenden Maß-
nahmen veranlaßt haben? Denn man muß wissen, daß die Firma Karl Wenschow eine 100-pro-
zentige Tochter des SV ist.

Da nun in dem Haus an der Sendlinger Straße ebenfalls eine Fotosatzabteilung zur Zeitungsher-
stellung aufgebaut wird, mit enormen Satzkapazitäten übrigens, liegt es nahe, daß in der Send-
linger Straße größere Werke gesetzt werden sollen. Die Verarbeitung, also Montage, erfolgt dann bei der „Tochter“ Wenschow. Bis jetzt wurden größere Satzarbeiten der Akzidenz außer Haus ge-
setzt, das soll sich nun aus „Kostengründen“ ändern. Welche Konsequenzen das für die Arbeits-
plätze in den Zulieferbetrieben hat, kann sich jeder ausmalen.

Während ursprünglich nicht klar war, wie es für die Kollegen aus der Akzidenz weitergeht, ergab sich nach Abschluß des Sozialplans folgendes:

Von den über 100 betroffenen Kollegen werden 75 seit Mitte März in den Lohnlisten der Firma Karl Wenschow geführt. Der Betriebsrat des SV erreichte, daß der soziale Besitzstand für die Betroffenen gewahrt bleibt. Aufgabe des Betriebsrats bei Wenschow wird es sein, die Einhaltung dieser Vereinbarung zu kontrollieren.

  • Betroffene Frauen über 55 Jahren und Männer über 58 Jahren bleiben weiterhin Betriebs-
    angehörige des SV, auch wenn sie bei Wenschow tätig sind.
  • Lehrlinge können zumindest ihre Ausbildung beim SV beenden.

Aber: Nach der Übernahme der Kollegen wird es nach und nach Entlassungen mit der schönen Be-
gründung „Arbeitsmangel“ geben – das befürchten zumindest die Betroffenen. „Ein Tod auf Ra-
ten“, formulierte es der Betriebsrat. Der feine Unterschied besteht nur darin, daß nicht der Süd-
deutsche Verlag die Kollegen entläßt, sondern die Firma Karl Wenschow. Und dafür kassieren die Herren Gesellschafter, die das haben austüfteln Lassen, auch noch eine Prämie. Denn der beson-
dere Clou ist, dass zwei Condormaschinen verkauft und dafür eine kleinere 0ffsetmaschine ange-
schafft wird. Für diese Investition bekommt der SV dann auch noch die gelobte Investitionsprämie aus dem Steuersäckel.

So wirkt sich das großangelegte Arbeitsplatzbeschaffungsprogramm der Bundesregierung aus: Es werden keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern Arbeitsplätze wegrationalisiert. Und die Unter-
nehmer kriegen dafür noch eine Belohnung.

Der Sozialplan, er hat eine Laufzeit von drei Jahren, sieht neben der Zusage der Wahrung des so-
zialen Besitzstandes für alle übernommenen Abfindungen bis zur Höhe von 18 Monatsgehältern bei einem Grundbetrag von 3.000 DM vor: Männliche Arbeitnehmer ab dem 58., weibliche ab dem 55. Lebensjahr bleiben Betriebsangehörige des Süddeutschen Verlages, fallen aber bei arbeitge-
berseitiger Kündigung unter die Bestimmungen des Sozialplanes. Auch bei einvernehmlicher Kündigung wird der Sozialplan wirksam.

Unsere Gewerkschaft sollte zeigen, daß sie zur Sicherung der Arbeitsplätze nicht nur gute und richtige Beschlüsse am Gewerkschaftstag fassen kann (Herabsetzung der Arbeitszeit, Herabsetzung des Pensionsalters auf 60 Jahre, paritätische Mitbestimmung auch in Tendenzbetrieben), sondern daß sie mit Aktionen dafür zu kämpfen bereit ist.


Rotation. Betriebszeitung der DKP für das graphische Gewerbe vom Mai 1975, 3.