Flusslandschaft 2000

Bürgerrechte

„Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat das Volksbegehren ‘Schutz des Bürgerentscheids’ nicht zugelassen. Unvereinbar mit dem Grundgedanken der Landesverfassung, unvereinbar mit dem Selbstverwaltungsrecht der Kommunen, so der Kern der richterlichen Ablehnung. So steht dem-
nächst statt ursprünglich zwei geplanter (s. HN 4/2000) nur ein ‘halbiertes’ Volksbegehren am Start. Bitte merken Sie sich die Eintragungsfrist vor. Der bayerische Verfassungsgerichtshof hat, sehr zum Wohlwollen von CSU-Landesregierung und CSU-Landtagsmehrheit, einer erweiterten Bürgerbeteiligung im Land erneut einen Schlag versetzt. Gleich 13 Mängel rügte das Gericht im Entwurf des Volksbegehrens, mit dem die Initiatoren die Bürgerbeteiligung stärken und erweitern wollten. Die Richterinnen und Richter von CSU-Gnaden (immerhin bestimmt die mit absoluter Mehrheit regierende CSU derzeit 32 von 38 Verfassungsrichtern) sehen mit dem Volksbegehren den Handlungsspielraum der gewählten Institutionen (Gemeinde- und Stadträte beispielsweise)
in unzulässiger Weise eingeschränkt. Mit seiner ablehnenden Entscheidung setzt das Gericht die Serie politischer Amtshilfe für die CSU fort. Erst vor kurzem zerstörte das Verfassungsgericht das ‘Richtervolksbegehren’ als Gesamtpaket. In Reaktion darauf beschränken sich die Initiatoren nun auf einen Teil: Mit dem Volksbegehren ‘Macht braucht Kontrolle’ geht es nun allein um die Reform des Verfassungsgerichts. Wie überfällig diese ist, hat dieses Gericht in den letzten Wochen aus-
reichend unter Beweis gestellt.“1 – Lediglich 272.000 Bürger unterstützen innerhalb von zwei Wochen (9. bis 22. Mai) das Mehr Demokratie -Volksbegehren „Macht braucht Kontrolle“, mit dem ein demokratisches Richterwahlrecht in Bayern durchgesetzt werden soll. Damit scheitert die Einleitung eines Volksentscheids, weil die 10-Prozent-Hürde (ca. 900.000 Stimmen) verfehlt wird.2

Ein Drittel aller Polizistinnen wird von Kollegen gemobbt. Im Februar 1999 erschoss sich die junge Polizistin Silvia Braun auf dem Weg zum Dienst in der Münchner Polizeiinspektion 14. Dieter Schenk, zuletzt Kriminaldirektor beim BKA, schreibt darüber und über weitere Fälle ein Buch mit dem Titel „Tod einer Polizistin. Die Geschichte eines Skandals“ und stellt dieses am 11. Dezember 2000 in der Seidlvilla vor. Neben ihm auf dem Podium sitzt die Mutter von Silvia Braun, der Rechtsanwalt der Hinterbliebenen Silvia Brauns und Polizist Wolfgang Jandke, wie Schenk Bun-
desvorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten. Schenk meint, es handele sich nicht, wie von der Polizei dargestellt, um Einzelfälle, sondern um eine notwendige Folge typischer struktureller Probleme. „Dazu gehören laut Schenk die Beamten-
hierarchie, der Dienstweg, das straf- und dienstrechtliche Verbot, polizeiinterne Verfehlungen öffentlich zu machen, sowie das Fehlen einer unabhängigen Kontrolle und unabhängiger Vertrau-
enspersonen (ähnlich der oder des Wehrbeauftragten). Diese Struktur führt, so Schenk, vielfach zu einem nicht hinnehmbaren Korpsgeist und zur Unterdrückung und Ausgrenzung bis hin zur Ver-
nichtung ‚unerwünschter’, also auch kritischer Kolleginnen und Kollegen.“3 Drei Tage nach der Veranstaltung beginnt der Zivilprozess gegen den ehemaligen direkten Vorgesetzten von Silvia Braun.

Das Münchener Amtsgericht verurteilt am 18. Juli einen Polizeiobermeister wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft. Beim Oktoberfest 1998 hatte er sechs Personen ohne Grund festnehmen lassen. Seine mitangeklagten Kollegen erhalten Bewährungsstrafen von neun bis vierzehn Monaten. Richterin Birgit Benesch zeigt sich „persönlich erschüttert“ von den Vorgängen, die sie „an die schwärzeste Zeit in unserem Land erinnert“.4


1 Haidhauser Nachrichten 5 vom Mai 2000, 1.

2 Vgl. „Interview mit ‚Mehr Demokratie e.V.’ Haben Volksbegehren noch eine Zukunft?“ in: Haidhauser Nachrichten 7 vom Juli 2000, 1 ff.

3 Mitteilungen der Humanistischen Union 173 vom März 2001, 19.

4 Siehe www.boa-muenchen.org/boa-kuenstlerkooperative/n0007200.htm#0007200