Materialien 1977
Michaela M., Architektin, arbeitslos
Treffe ich Kollegen, die Arbeit haben und mich fragen, „Wo arbeitest Du?“, könnte ich anfangen zu weinen, ich weiß selbst nicht, warum. Natürlich melde ich mich, wenn ich irgendetwas höre, aber da melden sich hundert andere auch, einer gibt dem andern die Klinke in die Hand. Im Grunde ist es Zeitverschwendung und nach meinem Empfinden eine Erniedrigung, so um Arbeit betteln zu müssen.
Meine Schwester hat mir vorgeworfen: „Du suchst gar nicht richtig!“ Und andere haben gesagt: „Wenn du dich wirklich dahinterklemmst, kriegst du was!“ Genau das hab ich selbst gedacht … Letzten Herbst hatte ich mir einen Termin gesetzt: Neujahr muß ich Arbeit haben. Es sollte auch ein Trost für meine Mutter sein. Wenn ich Weihnachten heimfahr, wollte ich sagen können: „Eure Tochter arbeitet jetzt.“ Ich bin doch unter acht Kindern die einzige, die studiert hat, in die sie so große Hoffnungen gesetzt haben. Meine Brüder haben damals gelästert: „Was willst’n du, eine Frau und Architekt werden …“ Die waren der Ansicht: „Wer keine Arbeit kriegt, ist faul.“ Und das kann mir wirklich niemand vorwerfen!
Ein paarmal durfte ich mich vorstellen – nichts hat geklappt. Das waren so Renommier-Büros, andere beschäftigen überhaupt keine weiblichen Diplom-lngenieure. Eine Kollegin hat mir noch geraten, ich soll mich besser anziehen oder mir wenigstens meine Sachen aufbügeln. Aber wenn ich mir für 250,– Mark ein Kostüm kaufe, ist trotzdem nicht sicher, daß ich den Job krieg – und ich hab 250,– Mark Schulden.
Der Chef, das war so ein dandyhafter Typ, hat mich schließlich gefragt: „Haben Sie einen Führer-
schein?“ Ich hab gesagt: „Ja.“ „Haben Sie ein Auto?“ „Nein.“ Da ist ihm regelrecht das Gesicht runtergefallen – es ist nichts aus der Anstellung geworden. An solchen Tagen grüble ich und denke: Vielleicht hab ich einen Fehler gemacht oder vielleicht liegt es doch an meiner Person. Wenn ich perfekt wäre, müßten sie mich nehmen! Den ganzen Tag sinniere ich und bin deprimiert.
Manchmal, wenn ich in der Früh mit meinem Freund die Treppe runtergehe, denke ich: Wär das schön, wenn ich eine von den Hunderttausenden in München wäre, die jeden Tag in die Arbeit gehen können. Und dann werde ich müde, am frühen Morgen schon, und traurig und frage mich: „Zu was bin ich eigentlich auf der Welt? Ich kann nix, ich krieg ja keine Arbeit … Hat es noch einen Sinn, daß ich lebe?“ Ich werde immer unausgeglichener und schimpfe los wegen weiß nicht was für Kleinigkeiten. Andererseits verschließe ich mich und versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Ich sag mir halt:
„Es gibt in München 800 arbeitslose Architekten, das ist ein Lotteriespiel.“
Aber ich weiß: Ich kann arbeiten, ich weiß, daß ich viel kann, die Arbeit interessiert mich, ich hab Freude dran. Wenn die mich nicht wollen, liegt es nicht an mir! Ich hab so viele Energien und darf nichts tun … Rund um mich sehe ich Bauaufgaben: Der soziale Wohnungsbau müßte vorangetrie-
ben werden, ich suche selber eine billige Wohnung und finde keine. Es müßte renoviert werden, was noch zu brauchen ist oder vom denkmalpflegerischen Wert her zu erhalten wäre. Man müßte mehr Schulen bauen und die Uni erweitern. Im Lehel gibt es überhaupt keinen Kinderspielplatz, da gehört einer hin. Hier bei mir sieht man die Jugendlichen auf der Straße stehen, sie treffen sich in der Wirtschaft, aber einen Sportplatz, auf dem sie Volleyball spielen könnten, haben sie nicht. Ich könnte ein Freizeitheim bauen! Am Hasenbergl gibt’s kein Kino, in Perlach gibt’s kein Kulturzen-
trum, ich könnte das alles machen und darf nicht!
Manchmal hab ich so ein Gefühl von Ohnmacht – doch dann sag ich mir wieder: „Rein in die Poli-
tik, damit endlich was geändert wird!“
Schwabinger Wecker. Stadtteilzeitung der DKP für Schwabing-West vom Juli/August 1977, 7.