Flusslandschaft 2002

Kunst/Kultur

Im Sommer äußern vierzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kulturreferats in einem Offenen Brief unter der Überschrift „In großer Sorge“ ihren Unmut über den Führungsstil der neuen Kul-
turreferentin Prof.Dr. Lydia Hartl.

Werner Seppmann: „… Wenn die Theater kostendeckend geführt werden müssen, bleibt kaum eine Alternative zu einem leicht verdaulichen Unterhaltungsprogramm; das profitable Museum muss sich auf vordergründig-effektvolle Ausstellungskonzepte beschränken, die zur Eigenfinanzierung verpflichteten Einrichtungen der Erwachsenenbildung müssen sich auf berufliche Qualifikations-
angebote konzentrieren. Trivialisierung und Kommerzialisierung stehen in einem regressiven Wechselverhältnis. Theater- und Kunstinszenierungen müssen spektakulär sein, damit sie für die Sponsoren attraktiv genug sind; Literatur muss nach den Vorgaben eines zentralisierten Verlags- und Buchhandelssystems innerhalb weniger Tage und Wochen die Käufer überzeugen, sonst wird sie aus dem Sortiment entfernt. Filme müssen vom Kinostart weg den Renditeerwartungen der In-
vestoren entsprechen. Zeit, das Publikum zu überzeugen, wird ihnen nicht eingeräumt: Schlägt ein Film nicht am ersten Wochenende ein, gilt er als Flop. Wenn die Zuschauerzahlen unterdurch-
schnittlich sind, muss er einer neuen Unterhaltungsware weichen, die vielleicht größeren Zuspruch findet und die Säle der Großkinos besser füllt. – Während nicht nur die neoliberalistischen Ideolo-
gen, sondern auch die ,postmodernen’ Bauchredner des Kapitalismus behaupten, aus der Konkur-
renz erwachse Vielfalt, es werde den Menschen ermöglicht, Neues zu erleben und Ungewohntes auszuprobieren, wird tatsächlich bei den kulturindustriellen Produkten auf Wiedererkennungs-
effekte gesetzt und werden neue Erfahrungen vermieden. Die Wiederholung des Gleichen und Ähnlichen ist an der Tagesordnung … Von den Menschen wird die kulturindustriell ,erzeugte’ Wirklichkeit bereitwillig akzeptiert, weil sie den Charakter eines Ausweichraumes besitzt. der temporär ,Schutz’ vor der Unwirtlichkeit der Alltagsverhältnisse, die Möglichkeit zur Flucht in eine Scheinwelt bietet. – Vorangetrieben durch die Profiterwartungen der Investoren, wird der Weg des geringsten Widerstandes gewählt und zur Erreichung der ,Quote’ auf einen fragwürdigen Publi-
kumsgeschmack gesetzt, der Wiedererkennungseffekte honoriert und gegen neue Erfahrungen immunisiert ist. Die manifeste Entpolitisierung der Zuschauer ist mehr als nur ein zufälliger Nebeneffekt, denn auf der Basis der Uninformiertheit wird eine Spirale der Primitivisierung in Gang gesetzt …“1

BILDENDE KUNST

„Seit einigen Tagen wundern sich Passanten über seltsame Wandbehänge an verschiedenen Orten in Münchens Innenstadt. Zum Beispiel am Altheimer Eck Nummer 6. Dort klemmt in einem Ka-
sten ein beleuchtetes Poster, ein so genanntes ‚City Light‘, wie es auch zur Bewerbung von Damen-
unterwäsche an Bushaltestellen benutzt wird. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein ganz ge-
wöhnliches Wahlplakat der SPD: rote Schrift auf Weiß, darunter die Skyline von München, darüber scheinbar gute Gründe, die Partei zu wählen. Beim näheren Hinsehen erkennt man die wahren An-
kreuz-Motive: ,Demonstrationsverbote‘ steht da, ‚Veranstaltungsverbote‘, ‚Polizeikessel‘, ‚Massen-
festnahmen‘ und ,Einschränkung demokratischer Rechte‘. Dazu der Slogan ‚München hat mehr Rot!‘ – in Anspielung auf ,München braucht mehr Rot!‘, die originale Selbstanpreisung der Sozial-
demokraten vor der Kommunalwahl im März dieses Jahres. Der Betrachter kann über die irrefüh-
renden Aushänge nur rätseln. Wer hinter dem provokativen Spott steckt, verraten die Plakate nicht.“2 Oliver Resslers Projekt heißt „This is what democracy looks like (Liberalitas Bavariae)“ und ist im Rahmen der Ausstellung „Exchange & Transform“ des Kunstvereins München entstan-
den.

KARIKATUREN


Das Valentin-Karlstadt-Musäum im Isartor zeigt bis zum 27. August die Ausstellung „Hieb und Strich, die Zweite“ mit Werken von Guido Zingerl und Rainer Hachfeld.

MUSIK

Barde Konstantin Wecker erläutert im Fernsehen, welches kritische Denken hinter seinem Liedgut steht.3

(zuletzt geändert am 16.3.2020)


1 unsere zeit. Sozialistische Wochenzeitung 31 vom 2. August 2002, 15.

2 Süddeutsche Zeitung vom 24. Mai 2002.

3 Siehe Weckers „Wir sind wirklich kurz vor dem Abgrund …“.