Flusslandschaft 2005

Gewerkschaften/Arbeitswelt

- Allgemeines
- DGB

- Infineon
- Öffentlicher Dienst
- Öffentlicher Nahverkehr
- Lidl
- XXXLutz


ALLGEMEINES

1. Januar: Einführung des neuen Arbeitslosengeldes II („Hartz IV“). Die Zahl der Arbeitslosen übersteigt im Januar erstmals fünf Millionen.

Anfang des Jahres bildet sich die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) auch als Folge der Proteste gegen die Agenda-Politik der rotgrünen Regierung. In der WASG organi-
sieren sich vor allem aktive Gewerkschaftsmitglieder und -Funktionäre. Bis zu ihrer Vereinigung mit der Linkspartei. PDS wird in ihr um den Kurs und das Profil gerungen. Die einen bauen auf den Charakter einer sozialen Protestpartei, die anderen sehen in ihr den Ansatz zu einer Partei der gewerkschaftlichen Interessenvertretung.

Bundeskanzler Gerhard Schröder meint im Januar vor dem World Economic Forum in Davos:
„… Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt …“

„Rückblick in die Zukunft — / Laß mich aus dem Becher / der Erinnerungen / vergangener Zeiten, / im täglichen Arbeitskampf, / von dem Tropfen Wehmut / über Erreichtes und / Unerreichtes und / nun allzu billig / wieder Verlorenes / Mut trinken, / wie immer – / für eine bessere Zukunft“ Wolf-Dieter Krämer nach einem Telefonat mit Knut Becker am 19. Februar

Auf dem Europäischen Sozialforum in London haben die sozialen Bewegungen anlässlich des EU-Gipfels zu europaweiten Protesten und zu einer zentralen Demonstration am 19. März in Brüssel aufgerufen. Ebenso haben die sozialen Bewegungen auf dem fünften Weltsozialforum in Porto Alegre dazu aufgerufen, den 19. März zum internationalen Aktionstag zu machen — gegen den Krieg und für den Abzug der Besatzungstruppen aus dem Irak. — Europa könne nicht gegen seine Bewohner vereinigt werden. Europa werde sozial, kooperativ und demokratisch sein – oder es werde nicht sein! — Nach zwei Jahren illegaler Besatzung des Irak ebenso wie angesichts der Unterdrückung des palästinensischen Volkes stehe der Kampf gegen den Krieg weiter auf der Tagesordnung. Und der Kampf für den Frieden sei eng verbunden mit dem Kampf für ein anderes Europa. Der Europäische Gewerkschaftsbund ruft zu dieser europaweiten Aktion auf. Es fahren Busse von München nach Brüssel. Aber auch in München findet am Samstag, dem 19. März, um 13 Uhr auf dem Marienplatz eine Kundgebung statt: „Für ein Soziales Europa, für ein Europa der Soli-darität, für ein Europa des Friedens!“1

Kanzlerkandidatin Angela Merkel sagt in ihrer Rede zum 60jahrigen Bestehen der CDU am 16. Juni: „Wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.“ Bei den Bundestagswahlen am 18. September verliert die rot-grüne Koalition ihre Mehrheit. Angela Merkel wird am 22. September Bundeskanzlerin und führt eine CDU-CSU/SPD Koalition. Viele Gewerkschafter sind zunächst erleichtert, müssen aber auch weiter als Mitglieder der SPD Zurückhaltung üben.

DGB

Auf dem Plakat des DGB, das zur Teilnahme am Ersten Mai aufruft, heißt es: „Du bist MEHR. Mehr als eine Nummer. Mehr als ein KOSTENFAKTOR. Du hast WÜRDE. ZEIG SIE!“ Im Aufruf steht zu lesen: „Die Leute halten ihr Geld fest, aus Angst vor noch schwierigeren Zeiten. Dadurch wiederum steigt die Arbeitslosigkeit … Es kommt … darauf an, die Menschen bei Reformen mitzu-
nehmen. Sie dürfen sich nicht als Kostenfaktor fühlen, sondern müssen vermittelt bekommen, dass alle Reformanstrengungen ihnen zugute kommen sollen, dass es ihnen durch die Reformen besser geht als ohne.“2 Kopfschüttelnd stellen nachdenkliche Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter fest, dass dieser Aufruf betont, dass die Massnahmen der Bundesregierung als ganz großartig und optimal anzusehen sind und lediglich die Leute das Ganze nicht kapieren. Es liegt halt an der Vermittlung … Bei der Kundgebung auf dem Marienplatz sind viele Transparente zu sehen, die der Wut Ausdruck geben, so: „Hartz IV ist Armut per Gesetz!“ Viele DemonstrantInnen sehen für die Bundestagswahlen am 18. September schwarz.


INFINEON

„Im Stechschritt und mit Polizeischutz – (München, 25.10.2005) Als große Provokation bezeich-
nete Horst Lischka, zweiter Bevollmächtigter der Verwaltungsstelle München und Mitglied der Streikleitung bei Infineon, das Verhalten von Fertigungsleiter Hanebeck. – Dieser organisierte unter Mithilfe der Polizei – entgegen der bisherigen Absprache – dass Arbeitswillige einzeln zum Infineon-Werkstor kommen. Ein Pulk von rund 15 arbeitswilligen Ingenieuren, die stechschritt-
artig und unter Flankierung der vor Ort stationierten Polizeikräfte, hat demonstrativ das Werk betreten. Mit diesen Maßnahmen spielen Leute wie Hanebeck mit dem Feuer und provozieren Streikende. Offensichtlich seien Herren mit diesem Strickmuster in einer Zivilgesellschaft über-
fordert, einen sozialen Konflikt vernünftig auszutragen.

Die IG Metall hofft, dass dies ein einzigartiger Vorfall bleiben wird und fordert die Ordnungskräfte auf, sich nicht als Helfershelfer von Streikbrechern missbrauchen zu lassen. Weder die betriebliche Streikleitung noch die Streikenden und die IG Metall haben ein Interesse an der Verschärfung
des Konflikts. Deshalb hat die Streikleitung gestern mit den Verantwortlichen von Infineon eine Vereinbarung getroffen, die einen ordnungsgemäßen Ablauf vor dem Werkstor garantieren soll. — Lischka: ‚Wir halten uns daran. Das erwarten wir auch von der anderen Seite.’“3

ÖFFENTLICHER DIENST

Die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes und ver.di einigen sich Anfang Februar auf ein neues Tarifrecht. Die Gewerkschaft feiert den „Erfolg“, das Netzwerk für eine kämpferische und demo-
kratische ver.di
ist entsetzt.4

ÖFFENTLICHER NAHVERKEHR

Ein ganztägiger Warnstreik legt am 15. September den öffentlichen Nahverkehr in München und weiteren bayerischen Städten teilweise lahm. Ziel der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ist es, einen Sparten-Tarifvertrag für den kommunalen Nahverkehr abzuschließen. Die Arbeitgeber wollen einen Tarifvertrag, in dem die Löhne der Fahrer, die ca. sechzig Prozent der Beschäftigten ausmachen, drastisch gesenkt und die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich auf 40 Stunden erhöht wird. Die Tarifverhandlungen werden am 19./20. September 2005 in Augsburg fortgesetzt.

LIDL

In der Nacht vom 22. auf den 23. November werden die Eingangstüren der Lidl-Filialen in der Rainfarnstraße im Hasenbergl und in der Belgradstraße in Schwabing entglast.5 Siehe auch „Frauen“.

XXXLUTZ

Karstadt hat seinen Einkaufstempel auf der Theresienhöhe an Lutz veräußert, der dem Betriebsrat mitteilt, dass ab Oktober alle bisherigen Regelungen verschlechtert werden. Keine Zuschläge für Spätöffnungsarbeit, 40-Stundenwoche (bisher 37,5) ohne Lohnausgleich, zwei Wochen weniger Urlaub, neue Gehaltsregelungen (mit Sicherheit unter Tarif), statt Urlaubs- und Weihnachtsgeld eine einmalige Zahlung von 500 Euro (weniger als die Hälfte). Rechtlich ist das Vorgehen möglich, da die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags im Einzelhandel von Arbeitgebern und Landesregierung seit Jahren nicht mehr erteilt wird.

(zuletzt geändert am 10.8.2018)


1 Arbeit lohnt sich wieder. Die Vergütungen der Top Five der Vorstandsvorsitzenden im Lande: Josef Ackermann, Deutsche Bank: 11,9 Millionen Euro; Harry Roels, RWE: 11,8 Millionen Euro; Henning Kagermann, SAP: 6,1 Millionen Euro; Wulf H. Bernotat, EON: 5,7 Millionen Euro und Michael Diekmann, Allianz: 5,3 Millionen Euro.

2 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

3 www.igmetall-muenchen.de/Archiv.146.0.html

4 Siehe https://jungle.world/artikel/2005/07/der-abschluss-ist-eine-katastrophe.

5 Siehe „Erklärung zu den Angriffen auf Lidl“.