Flusslandschaft 2006

Fußball

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Kiosk am Marienplatz während der Fußballweltmeisterschaft 9. Juni – 9. Juli

Fußball-WM. Die Verantwortlichen behaupten, die Stadt München als einer der Austragungsorte profitiere davon. Aber profitieren „wir“ davon? Klar lohnt es sich für Hoteliers, Wirte, Taxifahrer und Bauunternehmen. Schließlich ist der Profifußball ein Milliardengeschäft mit hohen Profiter-
wartungen. Das Medienzentrum für fast 30.000 JournalistInnen auf dem Gelände der Messe Riem kostet knappe 100 Millionen Euro. Aber was haben „wir“ davon? „Miesepeter“ klingt es von der anderen Seite, „viele neue Straßen und U-Bahn-Tunnel und die 280 Millionen teure Allianz Arena habt Ihr auch in Zukunft. Das wird die ‚Bayern‘ beflügeln. Sie werden auf Dauer deutsche Fußball-
meister!“ Das stimmt. Aber wirds Euch nicht einmal zu fad, immer Meister zu sein?

Nation versus Klasse: »Es ist tatsächlich eine Stimmung der Einheit, die Deutschland erfasst hat … Für die Dauer eines Turniers interessieren sich Hartz-IV-Empfänger, Investmentbanker und Intellektuelle für dasselbe. Im Jubel sind die Grenzen sozialer Herkunft verwischt.«2

Es sind einsame Außenseiter, verbiesterte Spaßbremsen, die bei der allgemeinen WM-Begeiste-
rung nicht mitmachen. Sogar Schriftsteller sind enthusiasmiert. Ein Miesepeter verargt es ihnen: „… diese Intellektuellen verstehen nicht, und sie wollen nicht mehr verstehen, dass der Fussballro-
man das Elend des Familienromans zuspitzt und überhöht: Der Familienroman ist genealogisch. Er erzählt von Verhältnissen, denen man in all ihrer Sinnlosigkeit nicht entrinnen kann, weil man hineingeboren wird. Auch der Fußballroman ist genealogisch. Aber erzählt von sinnlosen, willkür-
lichen Verhältnissen, denen man sich nicht mehr entziehen will, weil man sich einmal dafür ent-
schieden hat. Sie erzählen von einer Abhängigkeit, zu der man sich nicht nur entschließt, sondern die man darüber hinaus mit allen Enthusiasmus ausstattet, zu dem man überhaupt nur fähig ist. Mit anderen Worten: Der Erzähler eines Fußballromans erzählt vom begeisterten Untertanen, und er will sich dabei, im Unterschied vom Erzähler eines Familienromans, der seiner Sippe ja stets zumindest zeitweilig zu entrinnen sucht, partout nicht irre machen lassen … Und die Intellektuel-
len machen mit … Und wenn sie dabei immer feinere, immer schwierigere Analyse ausspinnen, so betreiben sie doch nur ihre Selbstverblödung auf hohem Niveau, Affirmation mit hohem theoreti-
schen Aufwand, Reflexion ohne Kritik …“3

2015 ist das Jahr, in dem die Skandale der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) die Toleranz der Öffentlichkeit über Gebühr strapazieren. Leise Unruhe erschüttert die Fußballwelt. Bekannt wird: Die Fußballweltmeisterschaft 2006 hat der Deutsche Fußball-Bund für 6,7 Millionen Euro gekauft. Viele meinen: „Schwamm drüber, das ganze ist ja verjährt.“ Einige wundern sich, dass eine Fußballweltmeisterschaft so billig ist.

Am 24. Juni 2006 demonstrieren Fussballfans.4


1 Foto © Volker Derlath

2 Der Spiegel 25/2006, 72.

3 Thomas Steinfeld, Ein Ball, sie zu knechten. Wenn La Ola den Geist erfasst: Wider die intellektuelle Leidenschaft für den Fussball, in: Süddeutsche Zeitung 18 vom 23. Januar 2006, 11.

4 Siehe „Gegen die Kommerzialisierung des Fußballs“.