Materialien 1945
Entnazifizierung
… Zunächst nahmen die Amerikaner die Entnazifizierung in ihrer Zone selbst in die Hand, wobei sie sich anfangs auf Informationen durch die in vielen Orten gegründeten Antifaschistischen Aktionsausschüsse wie in Wiesbaden, Ludwigshafen und Nürnberg stützten.1 Sie entfernten ehemalige Nazis aus ihren beruflichen Stellungen und internierten sie zum Teil.
In München allerdings wie auch in Kassel und Stuttgart verweigerten die Besatzer den in den Mai- und Junitagen gegründeten Betriebsausschüssen mit der offiziellen Begründung fehlender demo-
kratischer Legitimation die Zusammenarbeit. Obwohl sie von den Ausschüssen oder über das neu gegründete Arbeitsministerium regelmäßig informiert wurden, beließen sie zunächst ehemalige nationalsozialistische Unternehmer und leitende Angestellte in ihren Positionen. Den Beleg-
schaftsvertretern von Krauss-Maffei, die eine Liste ehmaliger Nationalsozialisten vorgelegt hatten, erklärte ein US-Offizier, daß „these are your managers, and what they decide to do is not your concern.“2
Erst mit den im August 1945 angeordneten Wahlen von Betriebsräten wurde diesen eine Mitverantwortung bei der Entfernung von ehemaligen Nazis aus den Betrieben eingeräumt.3
Albert Roßhaupter berichtete der Manpower Division bei OMGBY:
„The shop-stewards of B.M.W. have been to see the Minister of Labor to complain on Director Scholl, who is helping the Nazis. 150 stores are in all Bavaria and the danger is, that sharp practice is going on with the goods, that should be used for rebuilding work. The denazification by Military Government is considered as unsufficient by the shop-stewards. Director Scholl came from Breslau and nobody knows about his political carrier, but he is said to have used sharp practice against Jews in the East. The second Director Donath has democratic tendencies, but cannot carry them trough. The Chief of the stores is a certain Ehlers, who dissappeared when the American came, but has come back now. Ehlers is said to have become Member of Party before 1935 and to have been troop-Führer of NSKK4. He has a large influence again. Ms. von Brück is said to give the directors informations from Military Government.”5
In den darauffolgenden Entnazifizierungsentschließungen vom Oktober und November verzichte-
ten die Amerikaner darauf, Betriebsvertretungen eine Mitarbeit bei der Entnazifizierung zuzuwei-
sen. Ab Herbst 1945 setzten sie häufig die ehemaligen Unternehmer wieder als Treuhänder ihrer Betriebe ein.
So wenig in den Münchner Firmen entnazifiziert wurde, so schnell wurde die Entnazifizierung in den Ministerien und in der Stadtverwaltung durchgeführt. Von den rund 8.000 Beamten und Angestellten wurden über 3.000, die vor dem 1. Mai 1937 NS-Mitglieder geworden waren, bis Oktober 1945 entlassen, einige aber auf Widerruf weiterbeschäftigt, um die Verwaltung aufrecht-
zuerhalten.
Trotz der von vielen als hartes Durchgreifen gewerteten städtischen Entnazifizierung durch die Amerikaner soll sich der Münchner Gewerkschaftsführer Gustav Schiefer im November beschwert haben, „that it would take him more than a day to make up a list of Nazis still in their city govern-
ment.“6 Der Direktor der Militärregierung Lt. Col. Keller ließ daraufhin Münchens Oberbürger-
meister Scharnagl zu sich kommen und machte ihm empört klar, daß diese Äußerung bei seinen Vorgesetzten in Frankfurt eine sehr ungünstige Wirkung habe.7 Scharnagl entschuldigte Schiefers „überzogene Äußerung“8, die in erster Linie auf parteipolitische Profilierung zurückzuführen sei. Schiefer selbst stritt die Äußerung einfach ab.9
Viele bestätigten Schiefer, so z.B. Dorn (führender OSS-Mitarbeiter, Sonderberater General Adcocks): „Wenn die Zeitungsreporter nach Nazis, die noch an der Macht waren, suchten, fuhren sie gewöhnlich von Frankfurt nach München.“10 Vor allem Kreise in der CSU boykottierten die Entnazifizierung; u.a. wegen Obstruktion derselben wurde schließlich Ministerpräsident Fritz Schäffer am 28. September 1945 abgelöst.11
Das Gesetz Nr. 8 vom 26. September 1945 ermöglichte den Betriebsräten, anhand von Betriebs-
meldelisten die Belegschaften zu überprüfen und Entnazifizierungsmaßnahmen einzuleiten. In die Praxis wurde dies jedoch kaum umgesetzt. Die Delegation des WGB12, deren Reise vom 30. Januar bis 19. Februar 1946 durch Deutschland auch München berührte, beklagte die mangelhaften Er-
gebnisse der Entnazifizierung, zweifelte an der Absicht der Besatzungsmächte zur wirksamen Entnazifizierung und empfahl den Gewerkschaftsführern, sich von den Behörden die Hauptverant-
wortung zusprechen zu lassen. Die US-Administration aber plante, die Verantwortung für die Entnazifizierung den Länderregierungen zu übertragen. Die Entnazifizierung sollte in „Einzelfall-
entscheidungen“ aufgesplittert „und dabei die Masse der zuvor Entlassenen wieder“ rehabilitiert werden.13 …
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1 Die Freiheitsaktion Bayern, deren regionale Verbindungen durch die Amerikaner untersagt waren, hatte in München bis zum 25. Mai eine den Antifaschistischen Ausschüssen ähnliche Position: Sie informierte die Amerikaner über Nationalso-
zialisten und wurde auch mit Verhaftungen und Enteignungen selbst aktiv. Vgl.: Lutz Niethammer, Die Mitläuferfabrik. Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, Berlin/Bonn 1982, 129 ff.
2 OSS, Free Trade Union Movement in Munich, No. L-331, 7.7.1945, Office of Military Government of Bavaria (OMGBY) 17/257-1/8, BayHStA. OSS = Office of Strategic Services
3 Vgl.: Anhang „A“ Bekanntmachung über die Wahl von Arbeitnehmervertretern, Manuskript, OMGBY 13/106-3/14, BayHStA.
4 Nationalsozialistisches Kraftfahr-Korps
5 „Aus den Kreisen der Arbeiter der bayerischen Motorenwerke waren Leute bei mir, die derlei Klage führten, dass dort immer noch die Nazis am Ruder wären. Direktor Scholl decke diese Herren in allen ihren Maßnahmen. Nach ihrer Auffas-
sung werde in den vorhandenen Lagern nach Strich und Faden geschoben. Diese rund 150 Außenlager könnten mit ihren reichen Beständen viel mehr, als es geschieht, in den Dienst des Wiederaufbaus gestellt werden. Von der Militärregierung seien zwar in der letzten Zeit Säuberungen vorgenommen worden, diese genügen aber anscheinend noch nicht. Direktor Scholl kam von Breslau, man weiß aber sonst über seine Herkunft und seine politische Einstellung nichts Näheres. Der zweite Direktor Donath neige mehr der demokratischen Richtung zu, er könne sich aber nicht durchsetzen … Oberster Leiter der Lager sei ein gewisser Herr Ehlers, der anfangs nach dem Einmarsch der Amerikaner verschwunden war, nun aber wieder aufgetaucht ist. Ehlers soll Parteigenosse vor 1935 und NSKK.-Truppführer sein und besitzt großen Einfluss. Er hat insbesondere die Fahrterlaubnisscheine an sich gerissen …“ Mitteilung Albert Roßhaupters an Manpower Division vom 14. August 1945, OMGBY 13/106-3/24, BayHStA.
6 German Political Leaders on Denazification, in: Military Government Weekly Information Bulletin No 19 – 1 December 1945, Bürgermeister und Rat 25289, AZ 113-11/5, Münchner Stadtarchiv.
7 Vgl. Karl Scharnagl an Gustav Schiefer am 13. Dezember 1945 in: a.a.O.
8 Vgl. Karl Scharnagl an Lt. Col. Keller am 13. Dezember 1945 in: a.a.O.
9 Vgl. Gustav Schiefer an Lt. Col. Keller am 14. Dezember 1945 in a.a.O.
10 W. L. Dorn, Inspektionsreisen in der US-Zone, Stuttgart 1973, 51.
11 Vgl. a.a.O., 84.
12 Weltgewerkschaftsbund
13 Vgl. Ulrich Borsdorf/Lutz Niethammer (Hg.), Zwischen Befreiung und Besatzung. Analysen des US-Geheimdienstes über Positionen und Strukturen deutscher Politik 1945, Wuppertal 1976, 172.
Günther Gerstenberg, Trümmer, Hunger, Solidarität. Gewerkschaften in München von 1945 bis 1950, Münchner Skizzen 2, München 1997, 36 ff.