Materialien 1946
Die Frau in der Gewerkschaft
Wir Frauen haben bereits in großer Zahl unseren Platz in der neu erstandenen und doch so alten deutschen Gewerkschaftsbewegung gefunden und wirken aktiv am Aufbau einer starken Organisa-
tion aller Schaffenden mit.
Warum brauchen wir Frauen auch die Gewerkschaft, genügt es nicht, wenn sich die Männer damit beschäftigen? So fragt sich noch manche Frau. Stehen wir Frauen heute nicht neben dem Manne im Berufsleben? Haben wir nicht in der jüngsten Vergangenheit gezeigt, dass wir an der Maschine, in der Fabrik, im kaufmännischen Leben, im Handwerk, in den Behörden, in der Wissenschaft, überhaupt im ganzen öffentlichen und beruflichen Leben, unsere Leistung mit der des Mannes gleichstellen!
Wir stellen daher auch unsere Forderungen denen des Mannes gleich.
Wir Frauen müssen heute zu einem erhöhten Prozentsatz Ernährer unserer Kinder sein; wir sind durch die männermordende Wirkung des Krieges gezwungen, die Stelle des Vaters unserer Kinder einzunehmen. Ein großer Teil der jungen Mädchen wird nicht mehr die Gelegenheit zum Heiraten haben und muß sich deshalb eine Lebensexistenz im Beruf suchen.
Warum sollen wir Frauen aber unseren Lebensunterhalt schwerer verdienen müssen als der Mann, das heißt, warum soll unser Lohn für die gleiche geleistete Arbeit niedriger sein als der des Mannes?
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
muss daher unsere Forderung als Frau sein.
Die berufstätige Frau, die für den Lebensunterhalt ihrer Kinder sorgen muss, ist keinesfalls von den Pflichten als Hausfrau entbunden. Sie muss neben der allgemeinen Arbeitszeit noch ihren Haushalt versorgen.
Der bezahlte Hausarbeitstag
ist somit gleichermaßen eine unerlässliche Forderung.
Unterkünfte für die Kinder in Kindergrippen und Kindergärten müssen wir berufstätigen Frauen zur Erleichterung unseres Daseins und zur Förderung unserer Kleinsten verlangen. Diese und noch andere Forderungen des täglichen Lebens der berufstätigen Frau gehören zu dem Aufgabengebiet der Gewerkschaft.
Die Gewerkschaft ist die Organisation aller Schaffenden. Sie hat heute große Aufgaben zu erfüllen. Neben ihren alten Forderungen in der Lohngestaltung, Arbeitszeit- und Urlaubsregelung, Vertre-
tung der Schaffenden bei den Arbeitsgerichten usw. steht sie noch vor vielen anderen großen Problemen. Durch Einschaltung in
die Lenkung der Wirtschaft
durch ihre Funktionäre in den Betrieben, die Beeinflussung der Preisgestaltung usw., hilft sie mit am Neuaufbau Deutschlands.
Wir Frauen dürfen hierbei nicht beiseite stehen. Es geht um
die Gestaltung unseres Lebens
genau so wie um das des Mannes. Die Gewerkschaftsbewegung kann unsere Rechte nur vertreten, wenn wir Frauen auch hinter ihr stehen, wenn wir selbst aktive Mitarbeiter sind im Kampfe um die Gleichberechtigung der Frau .
Käti Sand
Gewerkschaftszeitung. Organ der Bayerischen Gewerkschaften 2 vom 5. September 1946, München, 6.