Materialien 1946
Ein offenes Wort an einen ehemaligen Naziführer
München, 27. August 1946
Herrn Eberhard von Conta
München-Solln, Johannesstr. 9
Betrifft: Ihr Schreiben vom 25. August 1946
Ich gebe Ihnen die mir übersandten Unterlagen anbei zurück. Eine Mitarbeit in der Bayerischen Gewerkschaftsbewegung kommt für Sie nicht in Frage. Sie waren nach Ihren eigenen Angaben Amtsleiter im Stabe des Stellvertreters des Führers der NSDAP, Oberführer in der SA und Standartenführer im NSKK, Gruppe Hochland.
Wir sind nicht in der Lage zu untersuchen, welche Gründe Sie bewogen haben, aus der Partei aus-
zutreten und in die Kriegsindustrie hinüberzuwechseln. Trotzdem ich mit Arbeit sehr überlastet bin, habe ich mich dennoch der Mühe unterzogen, ausnahmsweise Ihr reichhaltiges Material einer Durchsicht zu unterziehen. Ich muss schon sagen, dass ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, den ich so oft beim Lesen von Rechtfertigungsversuchen und Leumundszeugnissen ehemali-
ger Nazis bekomme, nämlich den, dass die Leumundszeugnisse zum Teil den Schreibern dieser Atteste in die Feder diktiert sind. So kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die mit Nr. 13 bezeichnete Anlage von Ihrer Putzfrau und Küchenhilfe selbst geschrieben sein sollte. Aber das lasse ich dahingestellt! Für mich gelten bei der Beurteilung eines Menschen Tatsachen. Tatsa-
che ist, dass Sie ein wesentliches Verdienst an dem Erstarken, der nationalsozialistischen Bewe-
gung haben. Sie sind in erheblichem Maße schuld, persönlich aktivistisch an der Schwächung und Vernichtung demokratischer Kreise und Einrichtungen in Deutschland mitgewirkt zu haben.
Davon wäscht Sie auch Ihre spätere Abstinenz nicht rein. Sie haben kein Recht, sich damit zu rechtfertigen, dass Sie hin und wieder Menschen etwas Gutes getan haben. Das ist Menschen-
pflicht und damit brüstet man sich nicht, insbesondere dann nicht, wenn man sich nach Herkunft und Bildung dem gebildeten Stand zuzählen darf.
Ich persönlich empfinde eine tiefe Abscheu gegen solche Art der Rechtfertigungsversuche. Ich spreche Ihnen auch das Recht ab, sich damit zu rechtfertigen, dass neben Ihnen auch andere Leute und Kreise Mitglieder der NSDAP waren. Sie haben ferner kein Recht festzustellen, dass das ganze deutsche Volk sich in Kollektivschuld befindet. Was Sie und ihre Kreise anbetrifft, so stimmt dies allerdings! Was aber diejenigen Männer und Frauen angeht, die sich vor und während des Dritten Reiches unter schwersten persönlichen Opfern gegen das Naziregime gestellt haben, so muss ich sagen: sie als schuldig oder mitschuldig zu erklären, wie Sie dies in Ihrer Niederschrift vom 15. April 1946 tun, ist eine Anmaßung und Frechheit!
Damit waschen Sie ihre Schuld nicht ab und machen sie keineswegs geringer! Diese Anmaßung passt zu Ihnen, wie Ihr ganzer Entwicklungsgang.
Ich empfehle Ihnen, nicht zu schriftstellern und den im Wiederaufbau des Vaterlandes und der Wirtschaft begriffenen Kreisen nicht die Zeit dadurch zu stehlen, dass Sie alle möglichen Personen mit Ihrer Person beschäftigen. Sehen Sie sich bitte in unserer Stadt München um! Dort liegen noch die Trümmer, die Sie mitzuverantworten haben. Wer eine Vergangenheit wie Sie hat, ist in erster Linie dazu „berufen“, wenn nicht schon in einem Arbeitslager zu büßen, dann doch mindestens die traurige Hinterlassenschaft des „Dritten Reiches“ – nämlich die Trümmer – wegzuräumen.
Versuchen Sie bitte nicht, meine Zeit noch einmal in Anspruch zu nehmen. Wenn ich mich recht besinne, waren Sie unter Verschweigung dieser Tatsachen bereits einmal bei mir und ich weiß nicht, wie viele Stellen des Staates, der Wirtschaft und der Arbeitnehmerbewegung Sie schon aufgehalten haben, sich mit anderen wichtigen, sachlichen Aufgaben zu beschäftigen.
Unsere Zeit gehört dem Wiederaufbau unserer Wirtschaft und unseres Staates. Sie gehört in erster Linie den Opfern des Dritten Reiches und den im Wiederaufbau tätigen Männern und Frauen, sowie unserer schaffenden Jugend! Sie gehört den Kriegerwitwen und Kriegerwaisen und nicht zuletzt auch den Flüchtlingen.
Dies ist meine Antwort und die Antwort, welche Ihnen die Bayerischen Gewerkschaften auf Ihre Dreistigkeit, sich um eine Mitarbeit bei uns zu bewerben, geben.
Vorläufiger Ausschuss der Bayerischen Gewerkschaften
gez. G. Reuter
Gewerkschaftszeitung. Organ der Bayerischen Gewerkschaften 2 vom 5. September 1946, München, 12.