Flusslandschaft 1955

Kommunismus

„20. Juni: Der ehemalige Automobilrennfahrer Manfred von Brauchitsch und seine Mitangeklagten Martin Hamann, Oskar Nolze und Hanni Dunsche sind zu dem gegen sie in München wegen ihrer Tätigkeit im Komitee für Einheit und Freiheit im deutschen   Sport angestrengten Hochverratsverfahren nicht erschienen. Ihnen wird zum Vorwurf gemacht, sich für eine ‚kommunistische Tarnorganisation’ zu engagieren. – Nach späteren Angaben der Ehefrau des Hauptangeklagten, Gisela von Brauchitsch, hat sich ihr Mann in die DDR abgesetzt. – Bereits am 7. Mai 1953 war der in den dreißiger Jahren sehr erfolgreiche Rennfahrer und jetzige Präsident des Komitees für Einheit und Freiheit im deutschen Sport in seiner Wohnung in Starnberg unter dem Verdacht der ‚Vorbereitung zum Hochverrat’ verhaftet worden. Später hatte man ihn gegen die Zusicherung, zum Prozess zu erscheinen, auf freien Fuß gesetzt. – Am 24. Juni erscheint im Zentralorgan der SED ‚Neues Deutschland’ eine Erklärung von Brauchitschs, mit der er zu seinem Verschwinden Stellung nimmt. ‚Ich stehe heute’, schreibt er darin, ‚unter der fälschlichen Anklage des Hochverrats, der Staatsgefährdung und der Geheimbündelei. Entsprechend den drei Grundforderungen des ‚Komitees für Einheit und Freiheit im deutschen Sport’, nämlich Recht auf Einheit, Recht auf Freiheit, Recht auf eine friedliche Entwicklung im deutschen Sport, galt meine Tätigkeit den Grundsätzen der olympischen Idee und den Erfordernissen des deutschen Sports … Meine Tätigkeit befindet sich in voller Übereinstimmung mit dem im Grundgesetz unabdingbaren Recht aller Deutschen, sich frei zu vereinigen und ihre Meinung frei zu äußern … Hinter diesem Prozess steht die Adenauer-Regierung, die nichts für Sport und Spiel übrig hat. Mit der Unterbindung des gesamtdeutschen Sportverkehrs will sie eine Entfremdung der Jugend beider Teile Deutschlands erreichen … Da ich leider an einer gerechten Beurteilung meiner Tätigkeit zweifle und die Rechtmäßigkeit der Anklage nicht anerkenne, lehne ich das Erscheinen vor Gericht ab.’“1


1 Wolfgang Kraushaar, Die Protest-Chronik 1949 – 1959. Eine illustrierte Geschichte von Bewegung, Widerstand und Utopie. 4 Bde., Hamburg 1996, 1204.