Materialien 1951

Bedrohte Freiheit

Ein Augenzeugenbericht über die Vorfälle am 1. Mai 1951 in München

Nach der Gewerkschaftskundgebung auf dem Münchner Königsplatz marschierten am 1. Mai 1951 einige tausend Teilnehmer mit ihren Fahnen und Transparenten vom Kundgebungsplatz durch die Luisenstraße in Richtung Hauptbahnhof. Am Bahnhofsplatz entfernte sich ein Teil der Demon-
stranten, die zu den Vorortszügen in den Bahnhof gingen. Der andere Teil, etwa 3.000 Personen, marschierte in loser Ordnung durch die Bayerstraße zum Karlsplatz. Es war eine stumme Heim-
kehr von der Gewerkschaftskundgebung.

Kurz vor dem Stachus, auf dem sich zahlreiche Menschen versammelt hatten, da sie dort ein gro-
ßes Polizeiaufgebot postiert sahen, stellte sich den Gewerkschaftlern die Polizei entgegen. Die De-
monstranten waren inzwischen bereits auf den Bürgersteig getreten und wollten zu den am Karls-
platz vorhandenen zahlreichen Straßenbahnhaltestellen nach alle Richtungen der Stadt gehen. Der Zug an sich war schon aufgelöst. Trotzdem forderte die Polizei zum Auseinandergehen durch einen Lautsprecherwagen auf. Die Passanten und die Gewerkschaftler bildeten einen dichten Strom von Menschen auf dem Bürgersteig und konnten gar nichts anderes tun, als weitergehen. Dies verhin-
derte aber die ihnen entgegengestellte Kette von etwa 100 Polizisten. Plötzlich begannen die Polizi-
sten mit einer wahllosen Schlägerei, wobei sie in die Menge eindrangen und jeden, der ihnen vor die Augen kam, mit langen Gummiknüppeln bearbeiteten. Als Journalist, der ich beruflich die Sa-
che verfolgte, stand ich direkt hinter der Polizeikette, die ich bei ihrem brutalen Vorgehen photo-
graphierte. Ich sah, dass auch Frauen geschlagen wurden. Ich habe selbst gesehen, wie ein Polizist auf einen Kastenwagen stieg und einem Pressephotographen, der die ganzen Szenen vom Wagen-
dach aus photographierte, den Apparat abnahm.

Nachdem die Polizei ihr brutales Werk verrichtet hatte, wurde ich von Passanten an eine Stelle geführt. Es war eine Hausecke auf dem Schauplatz der Polizeiaktion. Hier war eine Blutlache zu sehen. Man erzählte mir, dass dort ein Schwerkriegsbeschädigter von der Polizei zusammenge-
schlagen worden war. Beim Verlassen des Karlsplatzes traf ich den mir bekannten Münchener Stadtverordneten Georg Engl. Er hatte erfahren, das eine Reihe von Personen verhaftet worden war und war gerade im Begriff, zum amtierenden Polizeipräsidenten zu gehen, um dagegen zu protestieren und die Freilassung zu fordern, da die Verhafteten nur von ihrem demokratischen Recht Gebrauch gemacht hatten.

Das Vorgehen der Polizei hat in der Bevölkerung lebhafte Empörung verursacht. Unter den Ge-
schlagenen befanden sich nicht nur Gewerkschaftler, sondern auch Passanten.

Die Sache hat zu einem Nachspiel in Münchener Stadtrat geführt. Die sozialdemokratische und kommunistische Fraktionen protestierten gegen die schon in mehreren Fällen der Jahre 1950- und 1951 geübte Terrorpraxis.

Wie ich noch später erfuhr, hat der Pressephotograph, dessen Apparat am Stachus beschlagnahmt wurde, zwar seinen Apparat wieder erhalten, jedoch wurde der Film mit den Prügelszenen der Po-
lizei nicht ausgehändigt.

Diese Angaben kann ich beeiden.

Karl Feuerer
Pündterplatz 4, 8000 München 23


Westend Nachrichten. Stadtteilzeitung für das Westend und die Schwanthalerhöh’ 7 vom Mai/Juni 1993, 8.