Materialien 1952

Wenn das Verbot kommt

SRP

Als der Dr. Fritz Dorls erschien, wurde es interessant. Das war gegen ½11 Uhr abends, am Freitag, dem 25. Juli 1952, in der Erdgeschosswohnung der Frau Gümbel in München-Schwabing, Habsburger Straße 7. Die örtliche Prominenz der Sozialistischen Reichspartei, die dort zu einer unauffälligen, abendlichen Plauderei im Wohnzimmer beisammen saß (jede öffentliche Propaganda und Tätigkeit ist der SRP durch das Bundesverfassungsgericht verboten), hatte sich über die Bildung einer Frauen- und Jugendgruppe der Partei unterhalten.

Die endgültige Geburtsstunde dieser Gruppe in München war aber dann doch hinausgeschoben und von der Entwicklung der Gesamtorganisation abhängig gemacht worden. Immerhin glaubten die bayerischen Repräsentanten der Dr. Dorls’schen Sozialistischen Reichsidee, ihren Stolz darüber nicht verhehlen zu sollen, dass die SRP auch innerhalb der weiß-blauen Grenzpfähle nun schon auf 88 ländliche Zweigstellen angewachsen ist.

Um das weitere Wachstum zu gewährleisten, waren 1-DM-Spendenbons an die Anwesenden verkauft worden, bevor Oberst a.D. und Blutordensträger Gümbel, der Gatte der Gastgeberin, der vor Monaten in der Führung des Münchner Soldatenbundes eine vorübergehende und geräuschvolle Rolle gespielt hatte, die Führung des Gesprächs übernahm.

Das tat der Oberst aber nur, bis eben Dorls kam. Der Bundestagsabgeordnete Dr.phil. nahm in einem bequemen Polstersessel Platz und begann nach kurzer Anlaufzeit – während die Gastgeberin Rotwein reichte – über die Zukunftsabsichten seiner Partei Dinge zu berichten, die den dazwischengeschalteten kräftigen Schluck verständlich erscheinen lassen.

Der folgende Teil des Abends nämlich wurde zu einer Lagebesprechung mit der Landesleitung Bayern über die bevorstehende Umorganisation, wenn die SRP – worüber Dorls seinen Zuhörern keinen Zweifel ließ – demnächst vom Karlsruher Bundesverfassungsgericht verboten werde. Für diesen Fall seien aber seit Monaten Vorkehrungen getroffen, die im einzelnen folgendermaßen ablaufen sollten:

* In Osnabrück sei vor Monatsfrist der Verein „Nationale Opposition“ in das dortige Vereinsregister eingetragen. Als Vorsitzender des Vereins sei der Rechtsanwalt Aschenauer verzeichnet, der jedoch in den Augen der SRP nur die Funktionen eines Strohmannes habe. Im Verbotsfalle werden die Reichsleitung und die Landesleitungen einzelne Funktionäre bestimmen, die ostentativ ihren Austritt aus der SRP zu erklären haben mit der Begründung, durch den Karlsruher Prozess hätten sie erkannt, dass die SRP keine demokratische Partei sei. Sie seien getäuscht worden. Diese ausgewählten Funktionäre werden sich dann der „Nationalen Opposition“ anschließen. bzw. deren Kreis- und Landesverbände bilden.

* Daraufhin werden einige andere, bisher sehr exponiert gewesene Funktionäre selbständig eine zweite „Nationale Opposition“ gründen. Der Rechtsanwalt Dr. Aschenauer werde nun gegen diese zweite „Nationale Opposition“ ein gerichtliches Verfahren in die Wege leiten, da nur die unter seinem Namen im Vereinsregister eingetragene „Nationale Opposition“ rechtmäßig diese Bezeichnung tragen darf. N.O. I werde also gegen N.O II klagen. Dies geschieht – nach Dorls – um eine Verschleierung der Nachfolgeorganisationen der SRP herbeizuführen.

* Eine weitere Verwirrung über die tatsächlichen Vorgänge werde eintreten, wenn nun noch – wie das nach der Behauptung von Dorls bereits fest abgesprochen ist – jeweils 50 Prozent der BHE-Abgeordneten von Nordrhein-Westfalen und Bremen zur „Nationalen Opposition“ stoßen. Durch diesen Kräftezuwachs werde die N. O. außerdem so stark sein, dass man sie nicht gut verbieten könne.

* Die eigentliche SRP aber werde sich trotz des Verbotes weder offiziell auflösen, noch werde sie ihre Tätigkeit einstellen. Um abzulenken und die Verwirrung vollkommen zu machen, werde sie vielmehr durch kleine Aktionen immer wieder an die Öffentlichkeit treten und damit die N.O. abschirmen.

* Die Leitung der N.O. werde tatsächlich in seinen, Dorls’ Händen und in denen von Otto Ernst Remer liegen, wenn auch sie beide, wie Dorls einwandfrei durchblicken ließ, aus Westdeutschland verschwinden wollten.

Im Zusammenhang mit diesem Plan, mit dessen Hilfe sich Dorls bei seinen Parteifreunden das Odium des gefährdeten Parteiführers erstapeln wollte, erwähnte er das Schicksal „seines Freundes“ Dr. Günther Gereke, der sich deshalb nicht mehr in Westdeutschland befinde, weil man versuche, im Westen ein Meineidsverfahren gegen ihn mit bestochenen Zeugen in Gang zu bringen, um ihn politisch unmöglich zu machen. Bei dieser Gelegenheit ernannte Dorls den Dr. Gereke zu einem der „kommenden Männer“.

Die Zahl der eingeschriebenen Mitglieder seiner Partei bezifferte der Bundestagsabgeordnete mit 40.000, was bedeute, das die SRP mit über den größten Stamm eingeschriebener Mitglieder unter den deutschen Parteien der Gegenwart verfüge.

„1954“, so schloss Dorls etwa um 1 Uhr nachts, „wird ein kritisches Jahr werden, da bis dahin mit einer Verschärfung des Ost-West-Konfliktes zu rechnen ist und man den Einsatz von Atom-Artillerie auf deutschem Boden plant. Bis dahin werden wir (die Nationale Opposition) kräftig genug sein, um die Regierung übernehmen zu können. Wir werden dann dafür sorgen, dass Deutschland von keiner Besatzungsmacht mehr ‚befreit’ werden kann.“

Sprachs und stieg mit dem Blutordensträger Gümbel in den wartenden Wagen.


Der Spiegel 33 vom 13. August 1952, 7.

Überraschung

Jahr: 1952
Bereich: Nazis

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