Materialien 1953

Brief an Ernst Müller Meiningen jr.

Erwin Oehl
München 22
Liebigstraße 39/IV

München, 18. Juli 1953

Herrn
Dr. Ernst Müller-Meiningen jr.

Sehr geehrter Herr!

Ihr Artikel vom 14. Juli 53 in der S.Z. „Eine Drachensaat“ ist ein mutiges Bekenntnis. Aber leider sind wir bereits so weit, dass wir vielleicht seufzen müssen: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Nach allem, was wir nach 1945 erleben mussten, wundert es uns nicht, dass heute die Deutschen so verfahren wie die Amerikaner.

Ich habe nach 1945 einige Jahre lang als Landesvorsitzender der Gewerkschaft der geistig und kulturell Schaffenden mich um den Aufbau einer gesunden Demokratie bemüht, um wirksame Massnahmen zur Beseitigung der Nachkriegsnot der künstlerisch Tätigen, um Sicherung der Gesinnungs- und Schaffensfreiheit. Es gab Vorstösse anlässlich der Abraxas-Diskussion, des Films „Der Apfel ist ab“, gegen undemokratische Versuche, eine Filmzensur zu errichten. Schliesslich ging der Beschluss des Gründungskongresses des Deutschen Gewerkschaftsbundes, einen Kulturpreis der deutschen Gewerkschaften zu stiften, auf meine Anregung zurück und wurde von mir vor dem Kongress begründet.

Später habe ich verantwortlich im Geist der Verfassung für Frieden und Völkerverständigung gewirkt, u.a. in der Gesellschaft für „Deutsch-sowjetische Freundschaft“. Im Dritten Reich lernte ich Haft, jahrelange Emigration und wiederum lange Gefängniszeit kennen. Meine Frau habe ich wunderbarer Weise 1945 aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück befreit wieder gefunden. Im Dritten Reich hatte ich Ausstellungsverbot und Malverbot.

Nun habe ich vom 27. Juni bis 19. Juli 1953 im Pavillon „Alter Botanischer Garten“ nach längerer Zeit eine größere Ausstellung gezeigt. Sie werden sie nicht gesehen haben. Vielleicht unterhalten Sie sich gelegentlich mit Herrn Dr. Rühmann oder Professor Held über die allgemeine künstlerische Qualität der gezeigten Bilder. Doch das steht heute nicht zur Diskussion. Zur Diskussion steht: Die Drachensaat des Herrn McCarthy. Obwohl ich seit ein einhalb Jahren keinerlei aktive politische Tätigkeit ausübe, ist mein Atelier allein 1953 dreimal, zweimal in Abwesenheit von Polizei durchsucht worden. Ich dürfte sehr fett auf ferngesteuerten schwarzen Listen stehen.

Frau Carwin hat erst für den Rundfunk schreiben wollen. Als Kritikerin, die nicht die Aufgabe hat zu loben, sondern zu berichten. Sie erfuhr „später“ von meiner politischen Einstellung und entdeckte in meinem Schaffen Anklänge an russischen Realismus, den sie nicht liebt. Jedenfalls schwieg sie die Ausstellung tot.

Herr Hinterlach fand die Ausstellung interessant und wollte darüber in der S.Z. schreiben. Aber er wartete auf einen Auftrag. Interessiert rief ich ein paar Mal in der Feuilleton-Redaktion der S.Z. an. Man schob die Schuld auf Herrn Hinterlach und liess den sonderbaren Satz fallen: Die anderen Zeitungen haben doch auch nicht berichtet. Sehr hübsch, nicht wahr? Im Übrigen liegt ein großer Bericht der „Nürnberger Nachrichten“ vor. Der Münchner Merkur brachte ebenfalls eine Besprechung. Die S.Z. schwieg mich tot.

Ich möchte es Ihnen überlassen zu prüfen, in wie weit die S.Z. hier ihre demokratische Bewegungsfreiheit demonstriert hat, in wie weit sie die Grenzen des journalistischen Verantwortungsbereichs sich setzte und offerierte.

Im Dritten Reich Mal- und Ausstellungsverbot, in der Demokratie „Totschweigen“!

Von Rosenberg und Streicher zu McCarthy —

Was aber zum Teufel hast der Amerikaner McCarthy mit der deutschen demokratischen Presse zu tun? —

Nehmen Sie den Ausdruck meiner Bitterkeit nicht so sehr als den des gekränkten Künstlers, sondern des deutschen Staatsbürgers, der unter dem Schicksal seines vierfach besetzten und korrumpierten Volkes und Vaterlandes leidet.

Mit vorzüglicher Hochachtung


Bestand Erwin Oehl, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

Überraschung

Jahr: 1953
Bereich: Kommunismus

Referenzen