Materialien 1953
Wie aus der Abgeordneten Hillebrand der „Fall Hillebrand“ wurde
„Es weht ein frischer Wind um diese junge Frau, die in ihrem Stimmkreis einen so gewichtigen Gegenkandidaten wie den bayerischen Justizminister besiegen konnte.“
So kommentierte die Südpost am 9. Dezember 1950 die Wahl von Rosa Hillebrand zur Landtagsabgeordneten. Und der Münchner Merkur meinte:
„Auch ihre Erscheinung straft das Greuelmärchen, dass politischer Verstand allenfalls bei blaustrümpfigen ,Mannweibern’ anzutreffen sei, Lügen.“
Rosa Hillebrand gehörte zu der neuen politischen Frauengeneration, die 1950 erstmals in das bayerische Parlament einzog: jung, akademisch gebildet, überzeugte Demokratin und Kriegs-
gegnerin, voller Zivilcourage und Idealismus, doch mit wenig politischer Alltagserfahrung.
Der SPD war Rosa Hillebrand bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als 26jährige beigetreten. Da beide Eltern Sozialdemokraten waren und zu Hause immer über Politik gesprochen wurde,
war dieser Schritt für sie selbstverständlich gewesen. Als Schriftführerin im Bezirk München-Schwabing trat die junge Studienrätin, die seit 1944 im höheren Schuldienst tätig war, zunächst politisch nicht besonders in Erscheinung. Das änderte sich ab dem Moment, als die Arbeits-
gemeinschaft sozialdemokratischer Frauen eine Kandidatin für die Landtagswahl 1950 aufstellen wollte und dabei auf Rosa Hillebrand stieß. Ihre Redegewandtheit und ihr sicheres Auftreten, unter anderem im täglichen Schuldienst geübt, ließen sie zur Favoritin der Partei-Frauen werden.
Doch nicht alle in der Münchner SPD hielten sie für geeignet. Das wurde schon bei der Partei-Wahlversammlung deutlich, als sie gegen die Mitbewerber Sepp Seyfried und Georg Kahn-Acker-
mann antrat. Zunächst wurde ihre fehlende kommunalpolitische Erfahrung kritisiert: „Wer ist denn die Hillebrand, die kennt doch niemand“, hieß es. Dennoch gewann sie im ersten Wahlgang mit deutlichem Vorsprung, doch die Abstimmung wurde wegen eines von Hillebrand bezweifelten Formfehlers für ungültig erklärt. Vor dem zweiten Durchgang kursierten unter den Mitgliedern plötzlich Gerüchte, Hillebrand habe eine „braune Vergangenheit“ und sei deshalb als SPD-Land-
tagskandidatin untragbar. Erst als der Personalreferent der Stadt München, Rudi Bössl, erklärte, er könne sich für sie nach Durchsicht ihrer Examensarbeit und ihrer Personalakte verbürgen, konnte sie einen zweiten Anlauf nehmen und gewann erneut.
Nicht nur diese innerparteiliche Hürde nahm Hillebrand, sondern am Wahltag selbst schaffte sie eine kleine Sensation: sie besiegte als Direktkandidatin für München-Schwabing den von der CSU aufgestellten bayerischen Justizminister Josef Müller, den berühmten „Ochsensepp“. Nach diesem Anfangserfolg und nach ihren ersten Reden im Landtagsplenum galt Rosa Hillebrand als politisches Talent, der manche in der SPD eine große Karriere zutrauten.
Hillebrand selbst war das Wahlergebnis Ansporn, sich verstärkt für „ihre“ Themen einzusetzen: Bildungspolitik, Gleichberechtigung der Frau und vor allem der „Kampf gegen Remilitarisierung und Refaschisierung“.
Zunächst allerdings musste sich die Jungparlamentarierin an den Alltag im Maximilianeum gewöhnen. Und da gab es bereits die erste Ernüchterung: nicht die große Politik wurde in den Fraktionen, Ausschüssen und im Plenum gemacht, sondern – so schilderte sie ihren Eindruck -
es dominierten „Gschaftlhuberei und Bürokratismus“, viele Diskussionen seien von sachlicher Inkompetenz geprägt gewesen. Die Lehrerin Hillebrand selbst arbeitete sich intensiv in den Bereich Schulpolitik ein. Besonders engagierte sie sich für die Aufhebung eines Gesetzes vom
9. November 1949, das die Beschäftigung von Lehrerinnen und Lehrern an höheren Schulen folgendermaßen reglementierte: An staatlichen höheren Knabenschulen sollten überwiegend Männer und an staatlichen höheren Mädchenschulen überwiegend Frauen eingesetzt werden. An den höheren Lehranstalten, die von Knaben und Mädchen besucht werden, solle der Lehrkörper entsprechend dem Prozentsatz der Schüler und Schülerinnen zusammengesetzt sein. Zur Begrün-
dung ihres Antrags führte Hillebrand aus, dass die Beschränkung der Zulassung auf Grund der Geschlechterzugehörigkeit einen Widerspruch zur Gleichberechtigung von Mann und Frau darstelle.
„Wer am Landtagsbeschluss von 1949 festhalten will, weil er eine Schutzbestimmung für die Frauen darstelle, will auf diese Weise eine Art Naturschutzgelände für die Frauen schaffen. Echte Gleichberechtigung fordert die Möglichkeit und Verpflichtung zum freien Wettbewerb im Interesse des Kindes.“1
Vor allem aber verwies Hillebrand auf Artikel 3 des Grundgesetzes und auf Artikel 94, Abs. 2 der bayerischen Verfassung. Aus diesem Grund wurde der Antrag, der im kulturpolitischen Ausschuss abgelehnt worden war, schließlich an den Rechtsausschuss überwiesen, wo er jedoch ebenfalls scheiterte. Am 7. September 1951 wurde das Thema abschließend im Plenum behandelt und löste dort eine Grundsatzdebatte über die Gleichberechtigung aus. Stellvertretend für die Ansicht vieler konservativer Abgeordneter soll hier der CSU-Politiker Hundhammer zitiert werden, der sich in der Diskussion entschieden gegen Hillebrands Initiative wandte:
„Wo das Gesetz in Widerspruch mit einer Norm steht, die auf dem göttlichen Gesetz beruht, liegt das entscheidende Gewicht beim göttlichen Gesetz. Ich glaube, Sie kennen und respektieren mit mir das Wort, das der Herr der Schöpfung gesprochen hat: Er soll Dein Herr sein! Die Frau soll die Gehilfin des Mannes sein. Das ist eine Norm, die auch durch irdische Gesetze nicht aus der Welt geschafft werden kann. Was wir aber heute erleben und was heute als Gleichberechtigung der Frau propagiert wird, ist die Propagierung eines neuen heidnischen Gedankens, der letztlich bei der Beschäftigung der Frau im Bergwerk endet, wie wir sie in Russland sehen … In concreto sprechen wir über die Beschäftigung und Tätigkeit der Frau in der Schule. Das Wirken der Frau in der Schule gehört zu den natürlichen Tätigkeiten einer Frau. Kinder zu erziehen und zu lehren, ist eine der Frau angemessene Aufgabe. Aber dabei muss ich betonten: Dort, wo aus den Kindern heranwachsende junge Männer geworden sind, kann ein Platz sein, wo es zweckmäßiger ist, einen Mann statt einer Frau hinzusetzen.“2
Wenn diese Initiative Hillebrands schließlich auch am Widerstand der konservativen Abgeord-
neten scheiterte, so hatte sie doch öffentlichkeitswirksame Denkanstöße gegeben. Beim Thema Friedens- und Sicherheitspolitik, das ihr ebenfalls sehr am Herzen lag, musste die junge Abgeordnete jedoch erkennen, dass sie hier im Landtag nichts bewegen konnte.
Hillebrand nutzte deshalb immer wieder Auftritte als Rednerin außerhalb des Parlaments, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Eine öffentliche Erklärung des SPD-Bundesvorsitzenden Kurt Schumacher 19513 veranlasste sie schließlich, auch innerhalb der Partei den Kampf gegen die Wiederbewaffnung aufzunehmen — gleichzeitig eine Kampfansage an die offizielle Parteilinie.
Hillebrands bald nicht mehr zu übersehendes Engagement sorgte in der SPD – und nicht nur
dort – für große Unruhe. Wohlmeinende Parteigenossen wie der Münchner SPD-Stadtrat Anton Aschauer warnten sie, dass sich mittlerweile auch der Verfassungsschutz für sie interessiere.
Doch Hillebrand: „Hätte ich den Mund halten sollen?“ Einer ihrer Ansicht nach drohenden Remilitarisierung und Refaschisierung tatenlos zuzuschauen, kam für sie nicht in Frage, deshalb sprach sie laut und deutlich weiter, bis sie kurz vor Weihnachten Fraktionschef von Knoeringen
zur Rede stellte. Hillebrand erklärte ihm bei dem Gespräch, dass ihr Kampf gegen die Wiederbe-
waffnung reine Gewissenssache sei. Daraufhin habe ihr von Knoeringen unmissverständlich klargemacht, dass diese Haltung mit einer Mitgliedschaft in der SPD nicht vereinbar sei.
Im Frühjahr 1952 schließlich erteilte ihr die Partei Redeverbot für München und andere Teile Bayerns. Hillebrands bis dahin steile politische Karriere — seit kurzem war sie Mitglied des einflussreichen SPD-Landesausschusses — bekam einen ersten scharfen Knick.
Trotz dieser Disziplinierungsmaßnahme trat Hillebrand weiterhin bei öffentlichen Versammlungen auf. So äußerte sie sich am 7. Juni 1952 auf einer Veranstaltung der überparteilichen Bayerischen Frauen-Friedensbewegung im Münchner Hackerkeller, bei der Hauptrednerin die frühere Zentrumsabgeordnete Helene Wessel war. Hillebrand protestierte gegen den zur Ratifizierung anstehenden Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten (Generalvertrag) und wandte sich vor allem gegen Artikel 5, Abs. 7, in dem es heißt: „Abgesehen vom Falle eines Notstandes ist jeder Militärbefehlshaber berechtigt, im Falle einer unmittelbaren Bedrohung seiner Streitkräfte die angemessenen Schutzmaßnahmen (einschließ-
lich des Gebrauchs von Waffengewalt) unmittelbar zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Gefahr zu beseitigen.“ Ihrer Ansicht nach war das entsprechende Gebiet damit der Willkür eines alliierten Befehlshabers ausgeliefert.
Zum Abschluss ihrer Rede rief sie zu einem Massenprotest — zu einer „Einheitsfront“, wie ihr die SPD später vorwarf — gegen die Ratifizierung der Verträge durch die Bonner Regierung auf:
„Wenn es uns nicht gelingt, der Tat der Regierung in Bonn die Tat des deutschen Volkes entgegenzusetzen, dann sind wir verloren. Dann ist es nicht mehr interessant, ob die Kugel, die von einem russischen oder von einem USA-Gewehr abgeschossen ist, ein Mitglied der Kommu-
nistischen Partei, der Sozialdemokratie oder der Christlich-Demokratischen Union trifft. Das Schicksal wird ein gemeinsames sein. Wir werden gemeinsam sterben müssen – aber wir können, wenn wir alle zusammenstehen, auch gemeinsam leben! Wir müssen heute den Mut haben, alle Kräfte, die gewillt sind, gegen die Regierung von Bonn zu handeln, als Bundesgenossen anzusehen, jenen, der im bürgerlichen Lager steht, jenen, der sich zur Sozialdemokratie bekennt und auch jenen, der links von der Sozialdemokratie steht.“4
Diese Rede löste innerhalb und außerhalb der SPD einen Sturm der Entrüstung aus, sie war laut Hillebrand „das Signal für die Hetze auf mich“. Der Grund für die Aufregung war zunächst ein falsches Zitat aus der Rede, das die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte:
„Die SPD-Abgeordnete rief bei ihrer Kritik an den Westverträgen aus: ,Wir müssen alle als unsere Bundesgenossen ansehen, die mit uns gegen die Politik von Bonn sind, auch wenn sie links von der SPD stehen sollten.’ Politische Kreise erwarten, dass Frau Hillebrand wegen dieser Äußerung vom höchsten Parteigremium zur Verantwortung gezogen wird.“5
Die „Bundesgenossen aus dem bürgerlichen und dem sozialdemokratischen Lager“ wurden von der Süddeutschen Zeitung zunächst unterschlagen und erst wenige Tage später in einer kleinen Notiz nachgetragen. Den nächsten Eklat gab es schließlich, als Hillebrands Rede, die vom Ostberliner Rundfunk aufgezeichnet worden war, kurze Zeit danach in der kommunistischen Zeitung Deutsche Woche wörtlich abgedruckt wurde.
Partei und Fraktion forderten sie auf, sich öffentlich und deutlich vom Kommunismus zu distanzieren. So musste sie eine „Scharfe Erklärung der Abgeordneten Hillebrand gegen den Kommunismus“ unterschreiben, in der es u.a. hieß:
„Durch Pressemeldungen war in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, als ob die Abgeordnete Hillebrand kommunistenfreundliche Tendenzen verfolge. Rosl Hillebrand erklärte auf Befragen deshalb vor der Fraktion, sie sei mit der SPD der Auffassung, dass es mit der Kommunistischen Partei unter heutigen Verhältnissen keine politische Zusammenarbeit und keine Verständigung geben kann.“6
Im Nachhinein wurden in der Erklärung, an der Hillebrand und Fraktionsvertreter Wort für Wort gefeilt hatten, die Formulierungen „auf Befragen deshalb“ und „unter heutigen Verhältnissen“ von der SPD gestrichen. Ministerpräsident Hoegner mahnte die Abgeordnete außerdem, dass ihr Name zu oft in der Ostpresse genannt werde. „Wir können uns das nicht leisten. Wir sind auf das Wohl-
wollen der Besatzungsmacht angewiesen“, so Hoegner nach einem Gedächtnisprotokoll Hillebrands.
Am 7. Juli hatten die Rede und ihre Veröffentlichung ein Nachspiel in der Landesausschuss-Sitzung, an der Hillebrand erstmals als neues Mitglied teilnahm. Schon gleich nach der Begrüßung wurde sie selbst zum Hauptthema des Treffens. Landessekretär Heinz Göhler stellte laut Protokoll7 fest, dass Hillebrand „zum Osten keine klare Stellungnahme hat“. So habe sie in einem Referat kürzlich drei totalitäre Regime genannt, „nicht aber das totalitärste, nämlich die Sowjetunion“. Die Genossen warfen ihr außerdem „große Naivität“ (Göhler) vor, und dass sie sich scheinbar der politischen Konsequenzen ihrer Äußerungen nicht bewusst sei (von Knoeringen). Hillebrand sei
„heute eine Stütze der östlichen Auffassung innerhalb der SPD. Wir kommen in eine äußerst schwierige Situation. Es gibt für die Hillebrand nur eines: absolute Klarheit. Sie mag eine andere Auffassung haben, das ist ihr gutes Recht und wir haben auch gar nichts dagegen, aber es muss sie dann sagen und dann trennen sich unsere Wege“8,
meinte von Knoeringen. Zum Abschluss der Sitzung wurde Parteisekretär Göhler beauftragt zu klären, ob Hillebrand im Einklang mit der Parteisatzung aufgefordert werden könne, den Landesausschuss-Sitzungen bis zur Klärung aller Vorwürfe fernzubleiben.
Dass ihre Mitgliedschaft in der SPD mittlerweile auf der Kippe stand, wurde Hillebrand bei verschiedenen Anlässen deutlich. Zu den Sitzungen des Landesausschusses wurde — angeblich „aus Versehen“ — nicht sie, sondern ihr Vorgänger eingeladen: Außerdem hieß es plötzlich, dass nur die Vertreter von SPD-Unterorganisationen Mitglieder in diesem Gremium sein dürften. Dies bedeutete de facto einen Ausschluss Hillebrands, die keine der geforderten Funktionen bekleidete. Die Parteisatzung wurde allerdings erst später entsprechend geändert.
Als kurz darauf der Präsident des Verfassungsschutzes, Krüger, in der Fraktion über seine Auf-
gaben referierte, betonte er, wie sich Hillebrand erinnert, dass sein Schwerpunkt die Kontrolle der Leute links von der SPD und der Linken in der SPD sei.
Trotz dieser unmissverständlichen Worte scheute Hillebrand weiterhin nicht den Kontakt mit
den Kommunisten, vor allem, wenn es um ihren Kampf gegen die Remilitarisierung ging. Am 14. September 1952 nahm sie an einer Tagung der „Mannheimer Redaktionskommission“, nach Ansicht der SPD eine kommunistische Tarnorganisation, in Ludwigshafen teil und provozierte damit erneut einen Eklat.
Als sie Fraktionschef von Knoeringen tags darauf zu einer Aussprache bat, erschien sie nicht. Daraufhin wurde sie vor die Fraktion zitiert, wo ihr eröffnet wurde, dass ihr Parteiausschluss entschieden war. Am 18. September — nur vier Tage nach ihrer Fahrt nach Ludwigshafen — beschloss der Bezirksvorstand der südbayerischen SPD, Hillebrand im Schnellverfahren mit sofortiger Wirkung wegen parteischädigenden Verhaltens aus der SPD auszuschließen. Zur Begründung wurde u.a. ihre Teilnahme an der „Mannheimer Redaktionskommission“ angeführt, bei der Hillebrands Rede ein „besonderer Höhepunkt“ laut Presse-Kommunique gewesen sein solle. Weiter hieß es:
„Rosl Hillebrand musste als Mitglied der Sozialdemokratischen Landtagsfraktion und als verantwortliche Funktionärin der Partei wissen, dass die ,Mannheimer Redaktions- Kommission’ und die SDA eine getarnte kommunistische Angelegenheit sind, und dass jede Beteiligung an Veranstaltungen dieser Organisation ein parteischädigendes Verhalten darstellt …
Vor allem durch ihren Versuch, die Sozialdemokratische Partei zu täuschen und durch ihre Bereitschaft, sich als Instrument zur Infiltration in der Sozialdemokratischen Partei missbrau-
chen zu lassen, hat sie sich außerhalb der Partei gestellt.Niemals wurde Rosl Hillebrand das Recht abgesprochen, innerhalb der Sozialdemokratischen Partei ihre Meinung frei zu äußern. Ihre scharfe Stellungnahme gegen den EVG- Vertrag und die Wiederaufrüstung teilt sie mit der Sozialdemokratie. Es war ihr jede Möglichkeit gegeben, innerhalb der Sozialdemokratischen Partei für den Frieden und seine Erhaltung einzutreten und zu wirken.“9
Am 30. September legte Hillebrand gegen den Ausschluss Berufung ein:
„An der zitierten Tagung in Ludwigshafen am 14. September nahmen ungefähr zweihundert Mitglieder und Funktionäre der SPD teil. Darunter befand sich eine ganze Reihe Genossen aus München … An den Abstimmungen nahmen nur Mitglieder der SPD teil. Die Abstimmungen wurden mit hochgehobenem Mitgliedsbuch der SPD durchgeführt. Meine Einladung nach Ludwigshafen erfolgte durch Genossen, die heute noch Mitglieder der SPD sind.“10
Der Bonner Parteivorstand antwortete ihr jedoch erneut in aller Schärfe, daß für „Handlanger der KP/SEP in den Reihen der deutschen Sozialdemokratie kein Platz“11 sei.
Hillebrand, die sich nach wie vor als Sozialdemokratin fühlte und für die ein Übertritt zur Kommunistischen Partei niemals in Frage gekommen wäre, stand plötzlich ohne Parteibuch und ohne ihre früheren Parteifreunde da. Alle Genossen und Genossinnen zogen sich von ihr zurück, ja grüßten sie nicht einmal mehr.
Obwohl sie, wenige Tage später erwartungsgemäß auch aus der Fraktion ausgeschlossen und
vom Unterbezirk München aufgefordert wurde, ihr Landtagsmandat niederzulegen, blieb sie Abgeordnete, „denn ich wurde ja von den Bürgern gewählt“.
Allerdings änderte sie ab diesem Moment deutlich ihre Landtagsarbeit: nicht mehr Bildungs-
politik war jetzt ihr Schwerpunkt, sondern Sicherheitspolitik – das Thema, das ihr schon immer besonderes Anliegen war. So richtete sie beispielsweise am 22. September 1953 nach Pressebe-
richten über die angebliche Stationierung von Atomwaffen in der Bundesrepublik eine Anfrage
an den Ministerpräsidenten:
„Diese Meldungen haben in unserer Bevölkerung Beunruhigung ausgelöst. Ist der Herr Ministerpräsident bereit, geeignete Schritte bei der Bundesregierung und der amerikanischen Besatzungsmacht zu unternehmen, um die Aufstellung von Atomartillerie in Bayern zu verhindern?“12
Darauf antwortete ihr Ehard unter Beifall der CSU: „Ich bin leider mit der Bekämpfung der Atomenergie und auch mit der Überwachung der Atomenergie nicht befasst. Ich glaube auch,
es ist nicht Sache des bayerischen Ministerpräsidenten, sich da einzumischen.“13
Einige Monate später wollte Hillebrand mit einem Antrag darauf hinwirken, dass bei der Berliner Außenministerkonferenz auch eine parlamentarische Delegation der Bundesrepublik vertreten
sei, die den Alliierten „den Wunsch des deutschen Volkes nach einem Friedensvertrag und der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands durch freie Wahlen“14 vortragen solle. Im Rechts-
ausschuss wurde der Antrag als sachlich und rechtlich unmöglich abgelehnt, weil – so Bericht-
erstatter von Knoeringen – „sich der Bayerische Landtag nicht mit solch großen außenpoli-
tischen Fragen beschäftigen kann“.15 Im Plenum kam es nach dem Ausschussbericht zu heftigen Wortwechseln und Angriffen gegen Hillebrand, die ihre Kritik an der geplanten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft bekräftigte:
„Gerade bezüglich der EVG-Politik gibt es in Westdeutschland ebenfalls neun Millionen Wähler, die nicht damit einverstanden sind, dass Westdeutschland in die EVG einbezogen wird und dafür auf die Wiedervereinigung verzichtet werden soll und darauf, dass sich in diesem Deutschland an Stelle von Rüstungsindustrien eine kräftige Friedensindustrie entwickelt, die mit allen Ländern der Erde Handel treiben kann.“16
Diese Stellungnahme wurde von den Abgeordneten durch zahlreiche Zwischenrufe wie „Propaganda“ (BP), „Logik Note 6“ (von Knoeringen), „Sie können gehen!“ (Hadasch, FDP) oder „Müssen wir uns das anhören?“ (Kraus, CSU) unterbrochen. Daraufhin entgegnete Hillebrand:
„Meine Herren! Sind Sie in Ihrer Argumentation so schwach, dass Sie es sich nicht leisten können, mich als Einzelgänger hier im Parlament mit meinen Argumenten ausreden zu lassen?“17
Politische Verbündete suchte die Einzelgängerin nach diesen Erfahrungen nicht mehr im Parlament, sondern außerhalb, nämlich im Rat der Deutschen Sammlung, dem späteren Bund der Deutschen, dem sie im Frühjahr 1953 beitrat. Wichtigstes Ziel war für sie nach wie vor der Kampf gegen die Remilitarisierung und, als Etappenziel, die Verhinderung der Ratifizierung des Generalvertrags. Mitte März, kurz vor der dritten Lesung des Generalvertrags im Bundestag, veröffentlichte sie deshalb – wiederum in der Deutschen Woche — einen „Ruf an die Sozialdemokraten“, in dem sie fragt:
„Dient diese Politik der Remilitarisierung Westdeutschlands dem deutschen Volk? Sie dient einzig und allein der deutschen Rüstungsindustrie, die bereits jetzt von den berechtigten Ansprüchen
der deutschen Arbeiterschaft auf Sozialisierung der Grundstoffindustrie in die Montanunion geflüchtet ist und damit die Grundsubstanz des deutschen Volksvermögens der Kontrolle der westdeutschen Volksvertretung entzogen hat. Die Remilitarisierung … verhindert darüber hinaus die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands und bringt die Gefahr eines deutschen Bruder-
krieges mit sich … Adenauer stützt sich bei seinen Remilitarisierungsbestrebungen in West-
deutschland auf die alten faschistischen und militaristischen Kräfte … Die überwältigende Mehrheit unseres Volkes lehnt diese gefährliche Politik entschieden ab. Die stärkste politische Kraft des deutschen Volkes ist die organisierte Arbeiterschaft in Stadt und Land. Diese hat in ihrer Mehrheit ihr Vertrauen der Sozialdemokratischen Partei gegeben. Sie erwartet daher von der SPD, dass sie den Kampf gegen die Remilitarisierung und für die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands wirksam zu Ende führt.“18
Kurz nach ihrem (erfolglosen) Appell an ihre früheren Parteigenossen nahm sie zusammen mit dem früheren Reichskanzler Wirth und dem CDU-Gründungsmitglied Elfes als erste westdeutsche Mandatsträgerin eine Einladung zu einer Volkskammersitzung in Ostberlin an. Wieder löste Hillebrand, die in der Volkskammer eine Rede gegen die Wiederaufrüstung in Ost und West hielt und sich u.a. mit Ministerpräsident Otto Grotewohl traf, große Unruhe in politischen Kreisen Westdeutschlands aus. Von der bayerischen Presse wurde die Reise zwar mit Stillschweigen übergangen, doch dafür wuchs nach Hillebrands Einschätzung das Interesse des Verfassungsschutzes und des US-Geheimdienstes an ihrer Person.
Schon seit 1952 – noch während ihrer Mitgliedschaft in der SPD – hatte sie den Eindruck,
unter Vorwänden ausgehorcht zu werden, beispielsweise von einem charmanten angeblichen Universitätsprofessor aus den USA, der ihrer Einschätzung nach eher ein CIA-Agent war. Einschüchterungsversuche reichten von dubiosen Telefon-Anrufen über Läuten an ihrer Wohnungstüre zu jeder Tages- und Nachtzeit bis zu unverhohlenen Morddrohungen. Beispielsweise erhielt Hillebrand im Mai 1954 eine Postkarte, auf der stand:
„Wenn Du ein so ,heißes Herz und klaren Verstand und wirklich Zivilcourage’ hast, wie die Berliner Lügenzeitung von Dir behauptet, dann, bitte komm und spiele Schullehrer hier im Paradies.“19
Hillebrand wandte sich mehrere Male deswegen an die Polizei, doch erwartungsgemäß führten
die Ermittlungen zu keinem Ergebnis. Auch gegen ihre Integrität wurden immer wieder Angriffe gestartet. So kursierte, nachdem sie für 7.000 Mark einen neuen Wagen angeschafft hatte, das Gerücht, sie sei mit dem Auto „gekauft“ worden.
Trotz dieser politischen und persönlichen Attacken setzte Hillebrand ihr Engagement fort. Im Sommer 1953 wurde sie bayerische Landesvorsitzende des Bundes der Deutschen. Im Herbst schließlich bewarb sie sich für den Bundestag, denn die Gesamtdeutsche Volkspartei von Gustav Heinemann und Helene Wessel hatte einzelnen Kandidaten des Bundes der Deutschen Wahllisten-
plätze zur Verfügung gestellt. Diese Bewerbung blieb jedoch — ebenso wie Kandidaturen für den Landtag und den Münchner Stadtrat — erfolglos.
Im März 1954 nahm Hillebrand an einer internationalen Konferenz gegen die EVG und die deutsche Wiederaufrüstung in Paris teil. Dort traf sie erneut mit Gustav Heinemann und Helene Wessel zusammen, die ebenfalls zu der Konferenz eingeladen worden waren. Während die französischen Zeitungen ausführlich über Hillebrands Rede auf der Veranstaltung berichteten, fand sie in der deutschen Presse keinen Niederschlag.
Erhebliche Konsequenzen hatte dagegen ein Auftritt Hillebrands beim „2. Deutschen Nationalkongress“ der Nationalen Front in Ostberlin (15./16. Mai 1954): Die Noch-Abgeordnete wurde von Unbekannt wegen Staatsgefährdung angezeigt. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Landtag und dem Erlöschen ihrer Immunität wurde ein Ermittlungsverfahren gegen sie eröffnet. Im Laufe des Prozesses, der erst im Herbst 1958 stattfand, forderte der Staatsanwalt ein Jahr Gefängnis. Das Urteil lautete schließlich auf Freispruch mangels Beweisen. In der Begründung hieß es:
„Wenn der Angeklagten auch nicht widerlegt werden kann, dass sie selbst mit ihrer Teilnahme an dem Kongress keine verfassungsfeindlichen Ziele verfolgt hat und dass sie in keinem Zeitpunkt Mitglied der ,Nationalen Front’ gewesen ist, so hat sie mindestens mit der Verfassungsfeindlich-
keit der ,Nationalen Front’ gerechnet. Das ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts allein schon aus der Tatsache, dass sie damals in der Politik eine führende Rolle gespielt hat. Bei ihrer überdurchschnittlichen Intelligenz, ihrem Bildungsniveau und ihrem großen Interesse an politischen Fragen ist es ausgeschlossen, dass ihr das Streben der ostzonalen Machthaber, die dort herrschende totalitäre Form des ,Sozialismus’ auf die Bundesrepublik zu übertragen, verborgen geblieben ist.“20
Die nicht nur nach Einschätzung des späteren SPD-Fraktionschefs Volkmar Gabert hoffnungsvolle Nachwuchspolitikerin21 hatte vier Jahre lang, von 1950 bis 1954, „in der Politik eine führende Rolle gespielt“, wie ihr vom Amtsgericht München attestiert worden war. Mit ihrem kompromisslosen Einsatz gegen die Wiederaufrüstung, bei dem sie sich nach eigenen Worten immer an ihrem Gewissen orientierte, und durch ihre Kontakte links von der SPD manövrierte sie sich im Bayern der Nachkriegszeit ins parteipolitische Abseits. Sie selbst meint dazu: „Meine Überzeugung war von keiner Partei disziplinierbar.“
Elisabeth Fleschhut
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1 Stenographische Berichte der Verhandlungen des Bayerischen Landtags, 20. Juni 1951, 879.
2 A.a.0., 7. September 1951, 193.
3 Kurt Schumacher nach der Erinnerung Hillebrands: „Wir sagen Nein zur Wiederbewaffnung. Wir sagen erst ja, wenn wir so stark sind, dass die erste Schlacht im Weichselbogen geschlagen wird.“
4 Deutsche Woche, Sondernummer, Juli 1952, aus: Sammlung Hillebrand, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.
5 Süddeutsche Zeitung vom 8. Juni 1952.
6 Aus: Sammlung Hillebrand, a.a.O.
7 Alle folgenden Zitate stammen aus dem Protokoll der Landesausschuss-Sitzung, aus: SPD-LV Bayern, Sign.-Nr. 128 im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung.
8 Ebd.
9 Sozialdemokratische Presse-Korrespondenz des LV Bayern vom 18. September 1952 aus: AdsD SPD-LV Bayern III, Sign.-Nr. 80.
10 Schreiben Rosa Hillebrands an den SPD-Vorstand vom 30. September 1952, aus: Sammlung Hillebrand.
11 Schreiben des SPD-Vorstands vom 25. November 1952 an Rosa Hillebrand, aus: Sammlung Hillebrand.
12 Stenographische Berichte der Verhandlungen des Bayerischen Landtags, 22. September 1953, 7 f.
13 A.a.O., 8.
14 A.a.0., 4. Februar 1954, 710.
15 Ebd.
16 Ebd.
17 Ebd.
18 Deutsche Woche vom 11. März 1953, aus: Sammlung Hillebrand.
19 Aus: Sammlung Hillebrand.
20 Urteil vom 30. Oktober 1958 aus: Sammlung Hillebrand.
21 Festschrift „100 Jahre Sozialdemokraten in München“, 16, aus: Sammlung Hillebrand.
Elisabeth Fleschhut, „Ich als Frau und Abgeordnete …!“ Untersuchung der politischen Karriere, der parlamentarischen Arbeit und des politischen Selbstverständnisses der weiblichen Abgeordneten im Bayerischen Landtag der Nachkriegszeit (1946 — 1958), München 1997, 128 ff.