Materialien 1953

Einwände politischer Art

Am 13. Oktober 1945 wird die CSU, die Nachfolgerin der BVP, gegründet. Das Firmenschild wechselt, das Personal bleibt erhalten. Am 17. November 1945 erteilt die Militärregierung in einem feierlichen Akt im Münchner Rathaus die Genehmigung zur Wiederzulassung der SPD. Rosa Aschenbrenner ist dabei. Am 30. Juni 1946 wird sie in die Verfassunggebende Landesversammlung gewählt, Anfang 1947 bis Anfang 1948 sitzt sie im Vorstand des Münchner SPD-Ortsvereins.

Neue Wahlmodalitäten sollen verhindern, dass wie vor 1933 ausschließlich Parteigremien Kandidaten aufstellen. 1948 stehen für die Gemeindewahlen auch eine Reihe von Frauen zur Wahl; diese können nach dem neuen Wahlrecht innerhalb der Liste nach vorne gehäufelt werden. In München rücken neben drei Männern, die eine spezielle Klientel vertreten, nur die Frauen vor, und trotzdem erringen sie keine einflussreichen Positionen.1 Rosa ist seit 1948 als Münchner Stadträtin besonders sozialpolitisch sehr aktiv und arbeitet in sieben Ausschüssen mit. Ihre Kollegen sind fast alle dieselben wie vor 1933. Das personalpolitische Stützpfeilersystem verteilt Posten und Pöstchen: die Politprofis sitzen wieder fest in ihren einflussreichen Sesseln, und auch ihr Politikverständnis hat sich nicht geändert.

Rosa Aschenbrenner ist mit einer Genossin befreundet, die 1950 in den Bayerischen Landtag gewählt wird. Die junge Studienrätin Rosa Hillebrand macht schon erste unangenehme Erfahrungen bei der Kandidatenaufstellung. Da heißt es: „Die kennt doch niemand!“, und dann wird das Gerücht gestreut, „sie habe eine braune Vergangenheit“.2 Trotzdem schafft sie mit Bravour den Sprung in den Landtag und gilt bald als neue, grosse Hoffnungsträgerin der SPD.

Der hysterische Antikommunismus der Adenauerzeit, der nicht ohne den massiven Einfluss der Besatzungsmächte erklärt werden kann, bestimmt das Klima der fünfziger Jahre. Auch die Parteiführer der SPD unterwerfen sich willenlos dem US-amerikanischen Diktat. Immer wieder werden Sozialdemokraten, die gegen die Rückkehr ehemaliger Nazigrößen auf einflussreiche Posten protestieren, allzu entschieden gegen den Regierungskurs der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik auftreten und denen man deshalb kommunistische Neigungen unterstellt, aus der Partei ausgeschlossen.

Die junge Landtagsabgeordnete, eine überzeugte Sozialdemokratin, die nicht im Traum an einen Übertritt zur KPD denkt, fühlt sich in ihrem Engagement gegen den Kurs der Restauration ausschließlich ihrem eigenen Gewissen verantwortlich und tritt öffentlich als Rednerin auf. Im Frühjahr 1952 erteilt ihr die Partei Redeverbot für Südbayern, aber Rosa Hillebrand lässt sich nicht einschüchtern. Immer größer wird der Druck. Mit Gerüchten, Halbwahrheiten und Geschäftsordnungstricks wird sie schließlich isoliert und im Herbst 1952 aus der Partei „gesäubert“.

Ehemalige Genossen kennen sie jetzt nicht mehr. Aber eine Freundschaft bleibt bestehen, die zur Stadträtin Aschenbrenner. Und die macht sich schon wieder verdächtig, wenn sie im April 1955 wünscht, „dass die Staatsleute endlich begreifen möchten, dass man die Welt nicht durch kriegerische Auseinandersetzungen erlösen kann, sondern einzig durch friedliche Verhandlungen, bei denen auch der Gegner angehört wird.“3 Man wittert „kommunistische Umtriebe“, doch Rosa kann auf die unbedingte Unterstützung der SPD-Mitglieder ihres Stimmkreises zählen.

Am schlimmsten ist die Erfahrung, von Genossen hinter vorgehaltener Hand zu hören: „Du hast ja eigentlich recht, ich bin ganz Deiner Meinung, aber Du weißt ja selber, welche Probleme ich habe!“ Was gibt es da nicht für Begründungen, sich dem herrschenden Druck anzupassen. Man ist auf die Diäten angewiesen, um seine Familie ernähren zu können, da ist das Häuschen nicht abbezahlt, die Karriere bekommt einen Knick, der „Zeitgeist“ weht „uns allen“ gerade ins Gesicht, da seien mit der Wahrheit keine Wahlen zu gewinnen, und man könne ja hintenrum in einem persönlichen Gespräch viel mehr erreichen als offen und direkt … Mitglieder einer Partei, die in ihrer Vergangenheit auf beispielhafte Zivilcourage stolz sein konnte, werden stumm, verkriechen sich, reden sich heraus und beteuern, die Faust in der Tasche geballt zu haben. Rosa schämt sich für diese „Genossen“, die lieber in Gremien herumwirbeln, Tausende Termine absolvieren und Musterreden halten, die aus gestanzen Textbausteinen zusammengesetzt sind, als einmal in Ruhe darüber nachzudenken, welche verheerende Rolle sie spielen.

Einer ihrer Stadtratskollegen, Rudolf Bössl, hatte sich schon vor 1933 mit dem Münchner SPD-Establishment angelegt und diesem Pöstchenhäufung mit bester finanzieller Ausstattung vorgeworfen. Nach 1945 gehört er zu den wenigen Stadträten, die sich engagiert für eine Entnazifizierung in Stadt, Staat und Gesellschaft einsetzen. Nun wendet sie sich – von SPD-Mitgliedern ihres Stimmkreises bestärkt – an ihn, um einige Auskünfte einzuholen. Sie will wissen, wieviel Stadtdirektoren mit welchen Aufgaben bei der Stadt tätig sind, wieviel Juristen die Stadt beschäftigt und wie hoch die Bezüge der Spitzenkräfte in Staat und Stadt sind.

Bössl schreibt ihr am 18. November 1955: „… Somit beziehen insgesamt 17 Dienstkräfte der Stadtverwaltung … die Besoldung eines Stadtdirektors, die sich zusammensetzt wie folgt: … Endgehalt 21.784 … Die Stadt München beschäftigt derzeit im Beamten- und Angestelltenverhältnis 47 Juristen, darunter befinden sich 5 Stadtdirektoren … 1. Bürgermeister … 39.000, … 2. Bürgermeister … 33.800, Berufsm. Stadtrat … 28.984 …“4

Einige Tage lang scheint er mit sich gerungen zu haben. Einerseits hat er keine Staatsgeheimnisse weitergegeben, andererseits hat er selbst erfahren, wie empfindlich die Führung der Partei auf vermeintliche oder wirkliche Angriffe reagiert. Es ist besser, nicht in den Strudel der Ereignisse mit hineingerissen zu werden! Bössl sichert sich ab und schreibt am 24. November an den Parteivorstand, an die Stimmkreisführer und an alle SPD-Stadtratskollegen gleichlautend: „An unsere Genossin Rosa Aschenbrenner wurden in einer Versammlung (Sektion Obermenzing) mehrere Fragen gestellt, um deren Beantwortung ich gebeten wurde. Nachdem diese Fragen u.U. auch an andere Mitglieder unserer Fraktion gerichtet werden können, erlaube ich mir, einen Abdruck des Schreibens zu übermitteln, das ich unterm 18. November 1955 der Genossin Aschenbrenner übersandt habe. Mit Parteigruß!“5

Die harsche Antwort kommt postwendend, und Bössl reagiert sehr ausführlich am 7. Dezember: „… Es sind mir nun Vorwürfe darüber gemacht worden, dass ich eine solche Aufstellung überhaupt in andere Hände gab, insbesondere aber auch darüber, dass ich die Bezüge des Oberbürgermeisters insoferne nicht richtig angegeben habe, als ich den Verzicht des jetzigen Oberbürgermeisters auf zehn Prozent der Teuerungszulagen und die immense Besteuerungsquote verschwiegen hätte … Dieses Schreiben geht dem gleichen Personenkreis zu, an den ich die Durchschläge meines Schreibens vom 18. November 1955 gesandt habe; damit glaube ich einer gewünschten Erläuterung in loyaler Weise Rechnung getragen zu haben …“6

Jetzt häufen sich die Angriffe gegen Rosa Aschenbrenner. Sie bekomme Post aus der „Ostzone“, und man wirft ihr vor, ihre freundschaftlichen Beziehungen zu Rosa Hillebrand nicht beendet zu haben. Die SPD-Unterbezirkskonferenz lehnt Anfang 1956 mit Mehrheit ihre neuerliche Kandidatur ab.

„Ob sie nun wirklich so gefährliche Kontakte nach drüben hatte, wer weiß. Viel eher scheint die ‘rote Rosa’, die sich aus einfachsten Verhältnissen emporgearbeitet hat, nun nicht mehr zeitgemäß zu sein. Sie gilt als absolut integer und nicht korrumpierbar, ist aber auch eigenwillig und eindeutig in ihren Ansichten. So macht sich bei ihr noch immer ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein bemerkbar. Und das ist wohl wenig gefragt im Wirtschaftswunderland der 50er Jahre. Flexibel und anpassungsfähig muss man nun sein, um politisch überleben zu können.“7

Rosa hält mit Tränen in den Augen ihre Abschiedsrede vor dem Stadtrat. Als einziger von ihren Parteigenossen zeigt Franz Behringer Courage und bleibt auf seinem Platz sitzen; alle anderen sozialdemokratischen Stadträte verlassen demonstrativ den Sitzungssaal. Die Stadträte der bürgerlichen Parteien und der KPD hören ihr zu: „Nicht die Mitglieder der Partei, sondern die Parteibürokratie hält mich eines solchen Ehrenamts nicht mehr für würdig.“8 Und weiter: „… Man fürchtet nun vielleicht, dass ich Opposition treiben könnte, falls ich wieder gewählt würde, und Opposition wird in dieser Partei nicht geduldet … eigenes Denken ist strengstens verboten! Wer nicht folgt, ist selbst schuld, das beweist mein Fall …“9

Der SPD-Unterbezirk stellt sachlich richtig: „…Der Vorstand des Unterbezirks München hatte gegen eine Kandidatur von Frau Rosa Aschenbrenner Einwände politischer Art erhoben, da Frau Aschenbrenner vor Jahresfrist einer bekannten kommunistischen Tarnzeitung ein Interview gegeben hatte. Dieser Fall wurde ausführlich auf der Unterbezirkskonferenz am 29. Januar 1956 besprochen …“10 Drei ihrer profiliertesten Frauen entfernt die Münchner SPD in den fünfziger Jahren aus ihren Reihen: Rosa Hillebrand, Edith Höreth-Menge und Rosa Aschenbrenner.

Einige kleine Aufgaben im sozialen Bereich lässt man ihr; sie wird Mitglied des Allacher Bezirksausschusses, aber Ausgrenzung und erzwungener Ruhestand machen sie zornig. Und sie sieht, dass sogar hier in diesem eher unbedeutenden Gremium Gschaftlhuberei und Pöstchenschacher die Politik in den Hintergrund drängen. Sie zieht sich enttäuscht immer mehr in das Privatleben zurück, liest viele Bücher, arbeitet im Garten.11

Am 9. Februar 1967 stirbt Rosa Aschenbrenner. Kurz vor ihrem Tod vernichtet sie alle parteipolitischen Unterlagen, die sie bis dahin aufbewahrt hatte.

Für Männer reserviert das Patriarchat positiv konnotierte Attribute wie „durchsetzungsfähig“, „zielbewusst“ oder „prinzipienfest“, bei Frauen mutieren diese schnell zu „autoritär“, „stur“ oder „unduldsam“. Da liegt es auf der Hand, dass manche, die Rosa kannten, sich der Tyrannei der Rollenklischees unterwerfen und ihre Persönlichkeit in den letzten Jahren mit „ihr fehlte die geistige Toleranz“, sie sei grantig und grob geworden, beschreiben.

Rosa Aschenbrenner war sich ihrer Herkunft immer bewusst. Sie sah die Not der kleinen Bauern, der Arbeiterklasse und der Frauen und sie verstand, wer von diesem Unglück profitiert. Sie organisierte sich und wurde politisch aktiv. Ihre Karriere bedeutete eine große Leistung, und sie musste am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn man mit den Ansprüchen an die eigene Integrität fragwürdige Strukturen verändern will und sich deshalb mit ihnen anlegt. Was Wunder, dass ein Mensch mit seinen Erfahrungen, seiner Nachdenklichkeit und seinem Engagement zornig wird, der in einer Zeit lebt, in der die Ziele der Aufklärung, für die das eigene Leben einsteht, weiter als je zuvor entfernt sind, und in der die Infantilisierung von Erwachsenen zur Herrschaftsstrategie geworden ist!

War Rosas Leben von Niederlagen geprägt? Es sieht so aus. Sie konnte zeitlebens nicht mehr erfahren, wie immer mehr Mitmenschen wissen, dass der Fortbestand der Menschheit globale Abrüstung voraussetzt, und davon überzeugt sind, dass ein Leben ohne Feindbilder erstrebenswert ist, und dass es sich lohnt, sich in die Politik einzumischen. Sie hat unter Entbehrungen den Schutt in den Köpfen ihrer Zeitgenossen wegzuräumen versucht. Was sie wollte, wird vielleicht in naher Zukunft erreicht. Sie hat recht behalten, ihre Gegner waren im Unrecht.

In München gibt es heute eine Aschenbrennerstrasse. Sie ist nach Ludwig A. (geboren am 24. Juni 1902, gestorben am 19. Oktober 1958, mit Rosa Aschenbrenner weder verwandt noch verschwägert) benannt, der sich um den Alpenverein besonders verdient gemacht hat.12

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1 Vgl. SPD-Ortsverein München, „bish. Wahlen 1946 – 1948“, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

2 Vgl. zu Rosa Hillebrand ausführlich: Elisabeth Fleschhut, „Ich als Frau und Abgeordnete …!“ Untersuchung der politischen Karriere, der parlamentarischen Arbeit und des politischen Selbstverständnisses der weiblichen Abgeordneten im Bayerischen Landtag der Nachkriegszeit (1946 – 1958), München 1997, 128 ff.

3 Südpost 49 vom 26.4.1955. ZA Personen, StA.

4 SPD-Unterbezirk 1955, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung.

5 A.a.O.

6 A.a.O.

7 Karin Sommer, Die „eiserne Rosa“ Aschenbrenner, a.a.O., 14.

8 Würmtalbote 14 vom 2.2.1956. ZA Personen, StA.

9 Die Abendzeitung 27 vom 1.2.1956. ZA Personen, StA.

10 Würmtalbote 14 vom 2.2.1956. ZA Personen, StA.

11 Vgl. das Interview von Karin Sommer mit Traudl Aschenbrenner am 3.10.1995, Abschrift, 6. Sammlung Karin Sommer.

12 Im Juni 1997 schlugen die SPD-Fraktion und die Fraktion der Grünen/Rosa Liste des Münchner Stadtrats dem Oberbürgermeister vor, eine Strasse in Hartmannshofen nach Rosa Aschenbrenner zu benennen. Im Oktober 1997 informiert die Abteilung II im Vermessungsamt des Kommunalreferats der Landeshauptstadt München die Fraktionen, dass Rosa Aschenbrenner in die Vormerkliste neu zu benennender Strassen im Stadtbezirk 21 Pasing-Obermenzing aufgenommen worden ist. Vgl. Schreiben vom 23.6. und 25.10.1997, Sammlung des Verf. – Heute befindet sich im Neubaugebiet innerhalb des Ackermannbogens südlich vom Olympiapark der Rosa-Aschenbrenner-Bogen.


Günther Gerstenberg, Rosa Aschenbrenner – ein Leben für die Politik. Münchner Skizzen 12/1998, 52 ff.

Überraschung

Jahr: 1953
Bereich: SPD

Referenzen