Materialien 1953
Die neue Magnifizenz
v.Z., München
Das starke Hervortreten der wiedergegründeten farbentragenden Korporationen, die in München in den letzten Jahren besonders gefördert wurden, hat zu einem Protest geführt. Etwa siebzig Do-
zenten, und Professoren haben an den neuen Rektor, Professor Dr. Josef Nikolaus Köstler, ein Schreiben gerichtet, das ihrer „Sorge und Beunruhigung“ Ausdruck gibt.
Seit Michael Schmaus 1951 Rektor wurde, sind die Beschlüsse der Tübinger Rektorenkonferenz von 1949 gegen Mensur und öffentliches Farbentragen in Vergessenheit geraten. Professor Schmaus ließ die Verbindungen uneingeschränkt zu und hatte auch, obwohl Katholik und Theo-
loge, gegen die sogenannten Sportmensuren nicht einzuwenden. „Wenn manche der Ansicht sind, die Korporationen machten sich in den Universitäten zu breit“, meinte er noch kürzlich, „so sage ich, macht, euch noch breiter, damit die Rektoren lernen, was sie lernen sollen.“
Sein Nachfolger Marino San Nicolo ging noch weiter; er erklärte München zum Asyl aller verfolg-
ten Inkorporierten: „Wenn irgendeine Universität Studenten wegen Farbentragens oder geschlage-
ner Mensuren relegieren sollte, so würde ich keine Bedenken tragen, sie sofort bei mir zu immatri-
kulieren.“ So beträgt die Zahl der in München anerkannten Verbindungen heute bereits neunund-
achtzig, und als sie beim Stiftungsfest der Universität im Juli zum erstenmal die Erlaubnis erhiel-
ten, mit Fahnen und in voller Wichs teilzunehmen, sah man kaum einen freien Studenten. Lange vor Beginn der Feier waren fast alle Plätze der Aula von den Farbentragenden besetzt.
Dies nun wurde den freien Studenten zum Ärgernis und, wie man sieht, nicht nur ihnen. Sie hätten das Schauspiel mit Befremden beobachtet, erklärten die siebzig Hochschullehrer, und nähmen es zum Anlass, „vor einer weiteren Förderung überlebter und zum Teil durch die Geschichte belaste-
ter studentischer Formationen zu warnen“. Auch die Asylerklärung des vormaligen Rektors verur-
teilten sie und ersuchten um Richtigstellung, doch hat Professor San Nicolo, wie man hört, eine Änderung seines Standpunktes von sich gewiesen. Dass man das Aufleben der Korporationen nicht behördlicherseits würde hindern können, ohne sich an der persönlichen Freiheit zu vergreifen, war wohl immer klar. Sie können sich inzwischen auch auf die Rechtsprechung berufen. Das Bundesge-
richt ging bekanntlich so weit, Mensuren im Gegensatz zur Judiktatur des Reichsgerichts für straf-
los zu erklären. Selbst innerhalb der Korps gibt es zwar manche, die sie, auch in der Form der Sportmensur, für überlebt halten. Andere klammern sich, wie frische Spuren beweisen, um so hart-
näckiger daran. Aber auf jeden Fall ist es eine Frage, die durch den Spruch der Sitte und der gesellschaftlichen Überzeugung, nicht durch den Richter entschieden werden wird.
Worauf es der Münchner Universität ankommt, ist ein friedliches Zusammenleben in der akademi-
schen Gemeinschaft. Der Protest der freien Studenten, immerhin zwei Drittel der akademischen. Bürger, ist nicht ohne Wirkung geblieben. Man soll in ihren Kreisen entschlossen gewesen sein, bei der kürzlichen Rektoratsübergabe den Saal zu verlassen, sollte der Vorgang des Stiftungsfestes sich wiederholen. Eine Sezession also. Sie wurde glücklicherweise vermieden, die Farbentragenden zeigten Vernunft genug, sich zurückzuhalten, und auch am abendlichen Fackelzug nahmen beide Gruppen gemeinsam teil – die freien Studenten mit einer schwarz-rot-goldenen Fahne an der Spitze. An einer Verschärfung der Gegensätze ist, wie die Vollversammlung des ASTA soeben er-
gab, niemandem gelegen.
Die neue Magnifizenz
Von den Korporierten erhofft man eine innere Erneuerung, die dem Gedanken des Dienstes und christlicher Demut gegenüber dem Volke größeren Raum gibt. Von den freien Studenten darf man erwarten, dass sie fruchtbare Gemeinschaften bilden, die die jedes Jahr neu in die Universität einströmenden Studenten anzuziehen vermögen. Die neue Magnifizenz genießt bei allen Gruppen das Vertrauen, dass sie den Weg eines Zusammenlebens versöhnlich, aber entschlossen beschrei-
ten wird.
Die Zeit 53 vom 31. Dezember 1953.