Materialien 1954
10 Jahre Kampf um den Samstagladenschluss in München
Ab 1. Januar 1958 Teilziel erreicht!
Es ist mehr als 10 Jahre her, dass sich der Stadtrat München mit dem Problem des Samstag-Frühladenschlusses um 14 Uhr zum ersten Male befassen musste. Noch der Stadtratsbeschluss über die Ladenzeiten vom 8. 10. 1946 besagt nichts über den Samstag. Am 29. Juli 1947 aber liegt dem Hauptausschuss ein Antrag vor, die Läden am Samstag um 15 Uhr zu schließen; das Plenum geht aber einen Schritt weiter und legt den 14-Uhr-Ladenschluß fest, allerdings befristet bis 30. September 1947 und mit Ausnahme der Milchläden. Ein Ministerratsbeschluss über die Neuordnung der arbeitsfreien Tage vom 14. August hebt diese Anordnung einstweilen auf. Neuer Ladenschluss demnach Samstag 18 Uhr unter Einhaltung einer Mittagspause von 12.30 bis 15 Uhr, dafür am Montag Ladenöffnung erst um 13 Uhr. Am 25. September 1947 verfügt der Stadtrat wieder den 14-Uhr-Ladenschluß und bekräftigt ihn ein Jahr später, am 30. September 1948, erneut durch eine Bekanntmachung.
Dass die Einzelhandelsangestellten in der Bundesrepublik ab 1. Januar – mit geringen Ausnahmen – den freien Samstagnachmittag ab 14 Uhr gesetzlich garantiert haben, ist das erfreuliche Ergebnis eines fast ein Jahrzehnt langen Kampfes vor allem unserer Gewerkschaft. Besonders unsere Münchner Kolleginnen und Kollegen dürfen in doppelter Hinsicht froh darüber sein. Denn hier wuchsen sich die Auseinandersetzungen um das Ladenschlussproblem zu ausgesprochenen Kämpfen aus, die offenbar sein mussten, um dem Bundesgesetzgeber die Augen über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung zu öffnen. Es darf ohne Überhebung festgestellt werden, dass unserer Ortsverwaltung in München und deren Mitgliedern ein namhaftes Verdienst an dem Erfolg zukommt, der durch das vor einem Jahr erlassene Gesetz über den Ladenschluss besiegelt wurde.
Das Vorgeplänkel reicht bereits auf das Jahr 1951 zurück. Der DGB-Kreisausschuss München forderte im Hofbräuhaus die bundesgesetzliche Regelung des Ladenschlusses. Noch bestand in München der Stadtratsbeschluss für den Samstagfrühladenschluss, der jedoch auf Betreiben einiger kleinerer Geschäfte durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes zu Fall gebracht wurde. Wieder fand eine Protestkundgebung im Löwenbräukeller (1952) statt, in welcher die Angestellten zur Wachsamkeit und zum Widerstand gegen jede Ladenschlussverschlechterung und die Öffentlichkeit aufgefordert wurde, am Samstag nur bis 14 Uhr einzukaufen. Seitdem stand der Ladenschlusskampf im Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Aktion unserer Münchner HBV-Ortsverwaltung. Mit der Etablierung der Firma B. in München nahmen die Absichten der Gegner des Samstagfrühladenschlusses immer offenere Formen an. Die Gegenfront formierte sich. Wieder demonstrierten im Jahre 1953 die Angestellten des Münchner Einzelhandels im Salvatorkeller und riefen nach einer unverzüglichen gesetzlichen Regelung. Im April 1953 versuchte die Firma K. durch Offenhalten nach 14 Uhr eine Bresche in die noch stehende Ladenschlussfront zu schlagen. Wir schlugen zurück. Am 23. April fand erstmalig eine Kundgebung im Freien, und zwar neben dem Gewerkschaftshaus in der Landwehrstraße, statt.
Anfangs Juni 1953 startete die Firma B. einen offenen Reklamefeldzug für das Offenhalten an allen Samstagnachmittagen und kündigte an, dass sie am 13. Juni nachmittags ihr Geschäft offenhalten wolle. Die Firmen W. und S. sowie einige kleinere Läden schlossen sich an. Das war für unsere Gewerkschaft das Signal, die Münchner Einzelhandelsangestellten auf den Plan zu rufen, um in offener Demonstration keinen Zweifel über unsere Unnachgiebigkeit zu lassen. Etwa 10.000 Kolleginnen und Kollegen beteiligten sich, meist nach Betrieben geordnet, mit Spruchbändern und Tafeln an dem Zug durch die Innenstadt. Die Blaskapelle Witt musizierte dem Protestmarsch voran und sollte den friedlichen Charakter unserer Demonstration unterstreichen. Vor dem Domhof kam es jedoch zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Provokateuren, die der Polizei Anlass zu scharfen Einschreitungen gaben. Der Stadtrat München nahm in einem neuerlichen Beschluss zugunsten der Angestellten Stellung und versuchte vergeblich, die Firma B. zum Ablassen von ihrer Absicht zu bewegen. Eine Woche später, am 20. Juni, wiederholte sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen der städtischen Polizei die Demonstration der Einzelhandelsangestellten. Unübersehbare Zehntausende legten dabei den Innenstadtverkehr restlos lahm. Eingedrückte Schaufenster und eine wahre Straßenschlacht waren die Folgen eines unnötig scharfen Vorgehens der Polizei sowie der Bereitschaftspolizei, die Wasserwerfer eingesetzt hatten. Mehr als 50 Verhaftungen von Demonstranten hatten zum Tell schwerwiegende Anklagen wegen Landfriedensbruch im Gefolge. Während die Angestellten der Häuser W. und B. in Bereitschaft geblieben waren, legten auf Aufforderung unserer Gewerkschaft die des Schuhhauses S. demonstrativ die Arbeit nieder. Nur mit Rücksicht auf ein Richtfest für die erneuerten Türme der Frauenkirche trat auf beiden Seiten ein Waffenstillstand für eine Woche ein. Inzwischen wurde das Arbeitsministerium gebeten, schlichtend einzugreifen. Mit Rücksicht auf die anschließende Verkehrsausstellung wurde für deren Laufzeit vereinbart, dass am ersten Samstag im Monat die Geschäfte bis 17 Uhr geöffnet bleiben können. Den Angestellten wurde dafür ein halber freier Tag in der darauffolgenden Woche eingeräumt. Dieser Kompromiss wurde nach tagelangen Verhandlungen beim Arbeitsministerium mühsam bis nach Weihnachten 1953 gehalten. Das Schuhhaus S., das außerhalb der Kompromissvereinbarung stand, hielt jedoch an jedem Samstagnachmittag auf. Versuche unserer Ortsverwaltungssekretäre, durch Plakate von einem Einkauf nach 14 Uhr abzuhalten, hatten nur beschränkte Wirkungen und trugen den beiden polizeiliche Festnahme und Bestrafung ein. Durch die in der Zwischenzeit stattgefundenen Strafprozesse gegen einige Demonstranten der Junidemonstration und die erfolgten Urteile war auch die Demonstrationsfreudigkeit der Angestellten aufs schwerste getroffen worden. Die Gegner des Samstagfrühladenschlusses erfuhren schließlich auch Oberwasser durch den vom Bundesarbeitsministerium in dieser Zeit veröffentlichten Ladenschlussgesetzentwurf, der den freien Mittwochnachmittag vorsah. Unter diesen ungünstigen Vorzeichen fand am 21. Januar 1954 eine Verhandlung im Bayerischen Arbeitsministerium statt, bei welcher sich die Firma B. mit nichtssagenden Ausnahmen kompromisslos zeigte und ankündigte, dass sie ab 24. März 1954 an jedem Samstagnachmittag offenhalten wolle. Nach ergebnisloser Vertagung zeigte sich die Firma B. an weiteren Verhandlungen nicht mehr interessiert.
Der Münchner Einzelhandelsverband und die meisten seiner Mitglieder waren bis dahin uneingeschränkt für die Erhaltung des freien Samstagnachmittags eingetreten. Mit der zunehmenden Aussichtslosigkeit, die Ausbrecher zur Ordnung zu rufen, bröckelte aber die Front der Samstagfrühschlussfreunde im Lager der Geschäftsleute, besonders in den Konzernbetrieben, immer mehr ab und Ende Januar rieten selbst die eifrigsten Verfechter des freien Samstagnachmittags auf Arbeitgeberseite einem Kompromiss mit 2 verkaufsoffenen Samstagnachmittagen im Monat zuzustimmen. Indessen stellte ein plötzlicher Beschluss der Arbeitsgemeinschaft der Groß- und Mittelbetriebe, ebenfalls an jedem Samstagnachmittag offenzuhalten, die Gewerkschaft und die Betriebsräte vor eine völlig neue Situation. Die bisherige Unnachgiebigkeit der Betriebsräte wurde einzeln in den Häusern zermürbt. Lediglich die Lebensmittelgeschäfte und Drogerien erklärten sich für eine strikte Beibehaltung des freien Samstagnachmittags.
Gegen die nunmehr auch am Samstagnachmittag offenhaltenden größeren Geschäfte in der Kaufinger Straße wurden Demonstrationen kleineren Ausmaßes geführt, die sich hauptsächlich auf Plakatträger und Flugblattverteiler erstreckte. Träger dieser Aktionen waren nur noch unsere Gewerkschaft, vorbildlich unterstützt durch Kollegen von den DGB-Industriegewerkschaften. Vorübergehende Ansammlungen von Hunderten Kolleginnen und Kollegen aus den Kaufhäusern erzielten zumindest eine Lokalisierung und die Beschränkung der Verkaufsergebnisse während der drei umstrittenen Stunden. Aber die kapitalkräftigen Unternehmen, zu welchem sich besonders das Kaufhaus W. gesellt hatte, ließen nicht locker.
Fortsetzung im Januar-Ausblick.
Münchner Ausblick . Mitteilungen der Gewerkschaft Handel – Banken – Versicherungen HBV, Ov. München, 12 vom Dezember 1957, 2.
_ _ _
10 Jahre Kampf um Samstagladenschluss in München
(Fortsetzung und Schluss)
Die Groß- und Mittelbetriebe im Einzelhandelsverband wollten endgültig am 27. März 1954 ebenfalls nach 14 Uhr offen halten. In einer großen Betriebsrätevollversammlung des Deutschen Gewerkschaftsbundes wurde nunmehr für diesen Tag eine Großdemonstration beschlossen, die in letzter Minute von der Polizei verboten wurde. Dennoch zogen die Angestellten, unterstützt durch die Arbeiter aus den Münchner Betrieben, zu vielen Tausenden in die Innenstadt und es kam wieder zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei, die zum Teil beritten, bis 17 Uhr vergeblich versuchte, die Ruhe herzustellen. Gegen dieses Demonstrationsverbot und gleichzeitig gegen die Ausbrecher aus dem bisherigen Zustand des Samstagladenschlusses führte der DGB zwei Wochen später einen neuerlichen Demonstrationszug und eine Kundgebung am Jakobsplatz durch, die diesmal verhältnismäßig in Ruhe und Ordnung verlief. Noch einmal vermochten unsere gewerkschaftlichen Aktionen den Beschluss der Groß- und Mittelbetriebe aufzuhalten, er wurde aber an 8. Mai endgültig durchgesetzt. Den Angestellten wurde betriebsweise ein halber freier Tag während der darauffolgenden Woche für den Samstagnachmittag eingeräumt.
Maßnahmen betriebsverfassungsrechtlicher Art waren trotz der Bereitschaft einiger Betriebsräte zum Scheitern verurteilt, weil in vielen betroffenen Betrieben Betriebsräte überhaupt nicht bestanden oder die Betriebsräte sich zu keiner Maßnahme gegen den eigenen Arbeitgeber verstehen konnten. Seit der Kehrtwendung der Arbeitgeber ergriff die meisten Angestellten eine tiefe Depression, so dass von der Belegschaftsseite her eine erforderliche Rückenstärkung der Betriebsräte bei den von unserer Gewerkschaft geplanten Aktionen nicht ins Gewicht fiel. Blutenden Herzens gaben viele Betriebsräte schließlich ihre Zustimmung zu der veränderten Ladenzeit am Samstag oder ergriffen zumindest keine Maßnahme gegen deren Einführung.
Der Münchner Ladenschlusskrieg war verloren. Verschiedene Nachspiele vor den ordentlichen Gerichten gegen mehrere Demonstranten und eine Schadensersatzklage der Firma B: gegen die Gewerkschaft auf 250.000 DM änderten nichts mehr daran.
Der Kampf ging nunmehr verstärkt auf Bundesebene vor sich. Wenn unsere Gewerkschaft schließlich im Jahre 1956 endlich eine geringe Mehrheit im Bundestag für ein Ladenschlussgesetz nach unseren Vorstellungen gewinnen konnte, so waren es vorwiegend mit die Ereignisse in München, die zu einer Beschleunigung beitrugen. Viele Angestellte des Einzelhandels haben aus diesen Ereignissen aber die falsche Konsequenz gezogen, wenn sie vor drei Jahren der Gewerkschaft den Rücken kehrten. Alle diejenigen, die entschlossen waren, solange nicht mehr der Gewerkschaft anzugehören, bis der Samstagfrühschluss wieder hergestellt ist, nehmen wir jetzt beim Wort. Es ist soweit. Und es geht nicht allein um die Einlösung eines Versprechens, sondern um die Erhaltung und Verbesserung des am 1. Januar 1958 in Kraft tretenden Ladenschlussgesetzes.
Hermann M.
Münchner Ausblick. Mitteilungen der Gewerkschaft Handel – Banken – Versicherungen HBV, Ov. München 1/2 vom Februar 1958, 2.