Materialien 1954
„Samstag gehört Vati uns“
Projekt „50 Jahre Ladenschlussdemonstrationen“ in München
Gesetzlich geregelt wurde der Ladenschluss in Deutschland erstmals bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Das heutige, aus Wirtschaftswunderzeiten stammende Ladenschlussgesetz, wurde 2003 erneut reformiert. Der Bundestag verlängerte die Verkaufszeiten am Samstag bis 20 Uhr wie an den Werktagen. Damit wurde erstmals am 7. Juni 2003 ein „langer Samstag“ möglich.
Kein Vergleich jedoch die Intensität der Diskussion heutzutage zu den Jahren 1953/54, als die Demonstrationen gegen einen verlängerten Ladenschluss am Samstag bis 17 Uhr in regelrechte Tumulte ausarteten! Die Zeitungen sprachen damals von „Schlachtfeld“ und „Ladenschlusskrieg“ (Münchner Merkur) und von München als „Hauptstadt des Krawalls“ (Abendzeitung). Seit 1938 waren die Ladenöffnungszeiten auf grund der Arbeitszeitordnung reichsweit einheitlich geregelt – für alle Wochentage (Montag bis Samstag) von 7 Uhr bis 19 Uhr. Der Münchner Stadtrat beschloss jedoch im Jahr 1947 zusammen mit der Mehrzahl der lokalen Einzelhändler, den Geschäftsschluss am Samstag auf 14 Uhr festzulegen und hielt auch nach der formellen Aufhebung des Beschlusses durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof 1952, mit Unterstützung der Angestellten-Gewerkschaften (DAG und HBV), an dieser Sonderregelung fest. Diese Maßnahme war jedoch bei den Einzelhändlern keineswegs unumstritten, denn in den meisten anderen bundesdeutschen Großstädten lagen die Ladenschlusszeiten zwischen 17 und 19 Uhr. So war es nur eine Frage der Zeit, bis auch in München der Diskussionen um eine längere Öffnungszeit Taten folgten. Die Firma C & A Brenninkmeyer kündigte im Juni 1953 an, in ihrer Münchner Filiale in Zukunft auch samstags bis zum frühen Abend den Verkauf geöffnet zu halten und löste damit bereits massive Proteste, vor allem von Gewerkschaftsseite, aus.
Am 13. Juni 1953, dem ersten verkaufsoffenen Samstag, zogen rund 10.000 Demonstranten zur Kaufinger Straße vor die Niederlassung des Textilhauses. Die Protestteilnehmer setzten sich aus Gewerkschaftlern, Arbeitnehmern aller Art, Einzelhändlern und Jugendlichen zusammen, die dabei sein wollten, „wenn was passiert“. Auf den Transparenten wurde C & A als „Elternklau“, der den Kindern die Mutter wegnehme, beschimpft; weitere Plakate texteten: „C & A geht über Leichen“, „Samstags gehört Vati uns“. Von der Schärfe des offiziell angemeldeten Protests wurde die Polizei dann doch so überrascht, dass sie die Misshandlung zweier leitender Angestellter, die von einem Dachgarten des Restaurants ironisch ihren Hut vor der Menge zogen, nicht verhindern konnte. Die restliche Demonstration verlief allerdings friedlich.
Das Thema jedoch wurde in allen Kreisen weiter heiß diskutiert. Die Münchner Bevölkerung und der Einzelhandel waren in der Ladenschlussfrage gespalten. Dies belegen Briefe von Münchner Bürgern an den damaligen OB Thomas Wimmer. Gerade Bürger, die am Samstag selbst bis Nachmittag arbeiten mussten, stellten die längeren Öffnungszeiten als gerecht dar und unterstützten die Aktion der Firma C & A. Die Kritik der Gegner richtete sich gegen das Gewinnstreben: „Kämpfen Sie gegen diese Geldgier, die nur immer auf dem Rücken der wirklich Schaffenden abgetragen wird“; wiederholt wird auch auf die ursprünglich holländische Firma C & A als „Gastfirma“ und „ortsfremde Firma“ verwiesen, die sich als „Zuagroaste“ den bayerischen Gepflogenheiten anzupassen hätte.
Auch der Stadtrat kam nicht umhin, sich angesichts des nächsten anstehenden verkaufsoffenen Samstags mit der Materie auseinander zu setzen. Der Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion vom 16. Juni 1953, die den Ladenschluss für den folgenden Samstag für 14 Uhr beantragte, um „schwere Tumulte“ und „Zwischenfalle jeder Art unter allen Umständen, auch unter Zurückstellung von Profitinteressen einzelner zu vermeiden“ konnte jedoch nicht verhindern, dass die Firma C & A, der sich die Firma Salamander anschloss, einen weiteren verkaufsoffenen Samstagnachmittag ankündigte. Das Direktorium der Firma C & A bezweifelte in seinem Schreiben vom 17.Juni 1953 an den Münchner Bürgermeister, dass „der Appell des Stadtrats sich mit der Auffassung der Münchner Bevölkerung im Einklang befindet“ und wies auf die Ausnahmestellung Münchens in der Frage des Samstagnachmittag-Ladenschlusses hin. Angesichts der zu erwartenden weiteren Demonstrationen werde allerdings vom Direktorium Polizeischutz „der Rechtsgüter im Rechtsstaat“ erwartet. Gerüchte, die Firma hätte Polizeibeamte bereits im Vorfeld mit Geschenkgutscheinen „geschmiert“, ließen sich nicht belegen.
Die Konfrontationen am 20. Juni 1953 verliefen wesentlich heftiger als am Samstag zuvor. Es entwickelten sich regelrechte Straßenkämpfe. Mehrere Hundertschaften der Bereitschaftspolizei waren versammelt. Bei ihrem Versuch, den Eingangsbereich des Kaufhauses zu räumen, kam es zu schweren Schlägereien. Wasserwerfer wurden eingesetzt, Steine flogen, mehrere Personen wurden festgenommen. Als Hintermänner der gewalttätigen Ausschreitungen wurden Mitglieder der illegalen FDJ (Freie Deutsche Jugend, eine kommunistische Jugendorganisation) bzw. der KPD vermutet. Hinreichende Beweise dafür ließen sich allerdings nicht finden. Auch die massive Polizeipräsenz hatte wohl eine provozierende Wirkung auf die Demonstranten. Die Tatsache, dass der Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 fast zeitgleich mit den Demonstrationen in München stattfand, wurde von den Konfliktparteien wie den Medien größtenteils nicht thematisiert.
Nach einer längeren Pause kam es am 13. Februar 1954 wieder zu Protesten, und am 20. Februar 1954 zu einer Eskalation der Gewalt, als C & A und andere Geschäfte wiederum verkaufsoffene Samstage ankündigten. Nach einem Aufruf der DAG wurden die Eingänge der Filialen von C & A und Salamander blockiert – beim Versuch der Polizei, die Hauptgeschäftszone zu räumen, gab es nicht nur Konflikte mit den ca. 1.000 Teilnehmern, sondern auch unbeteiligte Passanten wurden in Mitleidenschaft gezogen.
Am 27. März 1954 ereigneten sich erneut schwere Ausschreitungen, nachdem das Verwaltungsgericht auf Antrag von C & A kurzfristig ein Demonstrationsverbot verhängt hatte. Als eine Gruppe jüngerer Demonstranten trotz des DGB-Appells, das Verbot zu akzeptieren, einen Protestmarsch durch die gedrängt volle Kaufingerstraße startete, griff die Polizei sofort ein. Das brutale Vorgehen der Polizei gegenüber den Protestierenden zog eine Fülle von Beschwerden und eine Dringlichkeitsdebatte im Münchner Stadtrat nach sich, führte jedoch nicht zu Konsequenzen für die Stadtpolizei.
Die letzte große Demonstration am 10. April 1954, ein von DGB und DAG gemeinsam veranstalteter Protestzug gegen die verlängerten Ladenöffnungszeiten am Samstag und für den Erhalt eines uneingeschränkten Demonstrationsrechts, an dem 35.000 Menschen teilnahmen, verlief jedoch friedlich.
Am 28. November 1956 schließlich wurde das Gesetz über den Ladenschluss bundesweit beschlossen (Bundesgesetzblatt Seite 875). Der Sonntagsladenschluss blieb Gegenstand der Gewerbeordnung, der werktägliche Ladenschluss wurde von Montag bis Freitag von 18 Uhr abends bis 7 Uhr morgens festgelegt. An Samstagen wurde der Ladenschluss auf 14 Uhr festgelegt mit Ausnahme des 1. Samstags im Monat (hier 18 Uhr).
Das Ladenschlussgesetz ist bis heute ein Gegenstand, um den heftig gerungen wird – allerdings nicht mehr ganz so engagiert wie vor 50 Jahren.
Sylvia Leicht
Hinweis:
Das Archiv der Münchner Arbeiterbewegung e.V. hat 2003 mit den Aktionstagen „50 Jahre Ladenschlussdemonstrationen 1953/54 in München“ an die Ereignisse mit einer Podiumsdiskussion und einem Vortrag mit Filmvorführung erinnert. Es wird weiter am Projekt und an einer Veröffentlichung des umfangreichen Fotobestandes gearbeitet. Weitere Informationen über die Arbeit des Archivs finden Sie unter www.arbeiterarchiv.de.
Geschichte quer. Zeitschrift der bayerischen Geschichtswerkstätten 12/2004, Aschaffenburg, 57 f.