Materialien 1954

Anfänge

Nach dem Untergang des „Dritten Reiches“ entstand im besetzten Deutschland eine vielgestaltige Zeitschriftenlandschaft. Vor allem junge Menschen machten den Versuch, über die historischen Fehlwege deutscher Politik öffentlich nachzudenken und Orientierungen für ein „anderes Deutschland“ zu finden. Eines dieser Blätter war Ende und Anfang – Zeitung der jungen Generation. Das Blatt erschien von 1946 bis 1949 in Augsburg zunächst alle vierzehn Tage, dann (in Gestalt von „Doppelnummern“) monatlich.

Die Lizenz für Ende und Anfang hatte die zuständige US-Militärbehörde dem damals einundzwanzigjährigen Studenten Franz Josef Bautz erteilt, der dann einer der Redakteure wurde. Um ihn scharten sich weitere denk- und schreibfreudige junge Katholiken aus Augsburg, mit jugendbewegtem Hintergrund, beeinflusst von der Ideenwelt des Jugendbundes „Quickborn“, der in der Nazi-Zeit heimlichen Zusammenhalt bewahrt hatte. Einige Monate nach der Gründung von Ende und Anfang schlossen die Münchener Theo Pirker und ich uns dem Redaktionskreis an – beide als junge Soldaten schwerkriegsbeschädigt und aus Erfahrung entschiedene Antimilitaristen. Wir gehörten dem „Bund Christlicher Sozialisten“ an, den der Kaplan Joseph Cornelius Rossaint 1946 initiiert hatte. Rossaint war 1937 vom Nazi-Volksgerichtshof zu elf Jahren Zuchthaus wegen „Hochverrats“ verurteilt worden. Aus dem „Friedensbund Deutscher Katholiken“ kommend, hatte er als Jugendpräses im „Katholischen Jungmännerbund“ eine Zusammenarbeit mit Funktionären des illegalen „Kommunistischen Jugendverbandes“ angebahnt; gemeinsam wollten sie der Nazi-Propaganda etwas entgegensetzen. Später, in der Bundesrepublik, war Rossaint viele Jahre Vorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN).

Ende und Anfang gewann rasch politische Qualität; es öffnete sich nach links hin. Wir machten das Verhalten der katholischen Amtskirche gegenüber dem Faschismus zum Thema, ebenso die Rolle des spanischen Katholizismus bei der Machtübergabe an Franco. Frühzeitig wurden die reaktionären Pläne westdeutscher Nachkriegspolitik offengelegt, die Tendenzen zu einem westdeutsch-westeuropäisch-US-amerikanischen Bündnis gegen „den Osten“, die Vorbereitung eines separaten westdeutschen Staatsgebildes. Ende und Anfang plädierte für die Sozialisierung der Schlüsselindustrien, für die Mitbestimmung der Arbeiterschaft in der Wirtschaft. Und die Zeitung brachte radikaldemokratische Traditionen aus der deutschen Geschichte in Erinnerung, das Jahr 1848, die feige Liaison der damaligen deutschen Bourgeoisie mit dem Obrigkeitsstaat.

Die politischen Entwicklungen, die wir kritisierten, wirkten sich auch auf das Blatt aus. Ein Teil der ursprünglichen Leserschaft wurde ihm nun untreu, auf Empfehlungen seitens der Amtskatholiken war nicht mehr zu rechnen, und den Sommer 1948 über durfte die Zeitschrift auf Geheiß der US-Besatzungsbehörde gar nicht erscheinen. Im September 1948 ging es mit einem neuen Untertitel weiter: „Eine politische Halbmonatszeitschrift für Theorie und Aktion“. In den folgenden Monaten wurde in Ende und Anfang kontrovers über die Konzepte der Linken diskutiert, auch über die Aussichten der sozialistischen Länder. Im Februar 1949 musste Ende und Anfang sein Erscheinen einstellen. Der Versuch, unter dem Titel Deutsche Arbeiterzeitung mit Hilfe des Nürnberger Verlegers Joseph Drexel weiterzumachen, kam nicht über eine Null-Nummer hinaus.

Interessant sind die weiteren Lebenswege derjenigen, die als junge Leute Ende und Anfang redigiert hatten:

Franz Josef Bautz wurde 1958 Chefredakteur der Deutschen Woche, einer Zeitung, die gegen die Remilitarisierung und gegen die Einbindung der BRD in die NATO auftrat; sie erschien bis 1962. Später war Bautz als hochgeschätzter Leiter der Abteilung Kultur beim Bayerischen Rundfunk tätig. Theo Pirker redigierte 1951 das Wochenblatt hier und heute, das sich aber nicht halten konnte. Er wurde dann Mitarbeiter von Viktor Agartz im Wirtschaftswissenschaftlichen Institut des DGB und mit ihm zusammen dort hinausgesäubert. Pirker trat als publizistischer Kritiker des Anpassungskurses von DGB und SPD hervor und erhielt schließlich eine Professur für Soziologie am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Siegfried Braun, bei Ende und Anfang innenpolitischer Redakteur, übernahm später die Redaktion der linkssozialistischen Zeitschrift SoPo, in Zusammenarbeit mit Peter von Oertzen, anschließend die Mitherausgabe der kritisch-gewerkschaftlichen Arbeitshefte; auch er wurde Professor für Soziologie, an der Universität Bremen. Burkhart Lutz reüssierte als Leiter eines sozial-wissenschaftlichen Forschungsinstituts und Professor in München. Ludwig Zimmerer begründete 1952 den heißumstrittenen „Arbeitskreis katholischer Jugend gegen die Wiederaufrüstung“, gab die Zeitschrift Glaube und Vernunft heraus und siedelte später als Korrespondent westdeutscher Zeitungen in die Volksrepublik Polen um. Der Benediktinerpater Eugen Brammertz, der Theologe im Redaktionskreis von Ende und Anfang, wurde in den Vatikan berufen; am Ende wurde ihm nachgesagt, er habe dort Aufklärung für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR betrieben.

Was mich betrifft: Mein Weg führte zu Brecht – schon seit der Kriegszeit. Nach meiner Verwundung hatte ich in München begonnen, bei dem Theaterwissenschaftler Artur Kutscher zu studieren. Er erwähnte gelegentlich den „Halbjuden“, den „Bänkelsänger“ Brecht aus Augsburg, über den ich dann nach und nach mehr in Erfahrung brachte. Nach dem Krieg stand für mich fest, dass ich über Brecht promovieren wollte. Als ich Kutscher 1946 darauf ansprach, sagte er mit besorgter und belegter Stimme: „Aber ich bin doch noch gar nicht entnazifiziert.“ Er ahnte, dass unter einer US-Militärregierung und einer sich abzeichnenden schwarzen Mehrheit in Bayern mit Brecht kein Blumentopf zu gewinnen sein werde, vor allem wenn mir vorschwebte, Brechts Entwicklung vom Anarchisten zum Kommunisten nachzuzeichnen. Als Ende und Anfang eingestellt war, fuhr ich nach Leipzig zu Hans Mayer, der dort, aus Frankfurt verdrängt, eine Professur bekommen hatte. Er empfahl mir, nach Berlin zu Brecht zu fahren, was ich 1949 tat. 1953 verteidigte ich meine Dissertation bei Mayer und Bloch.

Während der Promotionsarbeit hatte ich weiter journalistisch gearbeitet, und zwar als Korrespondent des Berliner Rundfunks/Deutschlandsenders für Südbayern. Im März 1953 wurde ich wegen „fortgesetzten Vergehens des staatsgefährdenden Nachrichtendienstes gemäß § 92 des StGB in rechtlichem Zusammentreffen mit einem fortgesetzten Vergehen der Agententätigkeit gem. § 100 d d. Abs. 2 des StGB“ in Untersuchungshaft genommen und nach zweiwöchiger Haft für fünf Wochen unter Polizeiaufsicht gestellt. Als Beweismaterial galten Tonbänder, die der bayerische Verfassungsschutz beschlagnahmt hatte. Vor allem mit einer Reportage über Land und Leute im Bayerischen Wald, damals ein Notstandsgebiet, sollte ich belastet werden. Im Prozess, der im August 1954 vor dem Landgericht München I geführt wurde, legte ich meinen amtlichen bayerischen Presseausweis vor, und Rechtsanwalt Kaul, Justitiar des Berliner Rundfunks/Deutschlandsenders, erklärte, meine journalistische Arbeit habe mit nachrichtendienstlicher Tätigkeit nicht das geringste zu tun. Der Staatsanwalt verwies daraufhin auf meine kommunistische Gesinnung, durch die eine „Staatsverneinung“ erwiesen sei. Er forderte eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Das Gericht entschied, mich „mangels sicheren Nachweises“ freizusprechen. Denn: Es sei nicht anzunehmen, dass ein leitender Beamter der Bayerischen Staatskanzlei „eine gegen den Bestand der Bundesrepublik hinarbeitende Institution durch die Zulassung eines eigenen Berichterstatters unterstützt hätte“. Das Urteil bot Korrespondenten der DDR-Medien keinen grundsätzlichen Schutz vor Verfolgungen. Schon gar nicht schützte es mich davor, auf schwarzen Liquidationslisten genannt zu werden, wie sie etwa vom US-finanzierten „Technischen Dienst“ für den Fall einer angenommenen „Invasion aus dem Osten“ angelegt wurden. Die Veröffentlichung der Namen und Adressen der Korrespondenten des Berliner Rundfunks/Deutschlandsenders und anderer DDR-Medien in Mitteilungsblättern neonazistischer Vereinigungen reichte aus, um die Korrespondenten vogelfrei zu machen.

Ich ging dann zur Deutschen Woche, für die ich bis zu ihrem Ende 1962 arbeitete; sie wurde zugunsten der Düsseldorfer Deutschen Volkszeitung eingestellt. Ich siedelte in die DDR über, habilitierte mich 1965 in Leipzig und wurde 1966 von der Humboldt-Universität (Berlin) als Professor für Theorie der darstellenden Künste berufen.

Ernst Schumacher1


Eckart Spoo (Hg. unter Mitwirkung von Arno Klönne), Tabus der bundesdeutschen Geschichte, Hannover 2006, 116 ff.

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1 Vgl. dazu auch: Michael Schwartz (Hg.), Ernst Schumacher – ein bayerischer Kommunist im doppelten Deutschland. Aufzeichnungen des Brechtforschers und Theaterkritikers in der DDR 1945 – 1991, München 2007.

Überraschung

Jahr: 1954
Bereich: Kommunismus

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