Materialien 1954
Pilatus-Haltung
Bayerischer Rundfunk
„Ich würde selbst eine radikale Verstaatlichung des Rundfunks in Bayern noch eher in Kauf nehmen als ein relativ zahmes Bundesrundfunkgesetz, weil ja hier in Bayern zwischen Gesetz und Anwendung der persönliche Kontakt steht – die Fraktionsvorsitzenden und Minister sind mit uns bekannt, mitunter sogar befreundet …“
Diese stolzen bayerischen Worte stammen von Walter von Cube, dem Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks. Sie waren, in einem Interview der Münchner Funkzeitschrift „Der Rundfunkhörer“, gerade einen Monat alt, als Cube mithelfen durfte, ihren tiefen Wahrheitsgehalt – besonders was den persönlichen Kontakt betrifft – zu demonstrieren.
Das war am Mittwoch, dem 21. April 1954, als für 20 Uhr in der Sendereihe „Politik aus erster Hand“ im Bayerischen Rundfunk eine Ansprache des Präsidenten der Nationalversammlung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, Moscha Pijade, vorgesehen war.
Nachdem nämlich die deutsche politische Prominenz in dieser Sendereihe nahezu vollzählig zu Worte gekommen war, die Hohen Kommissare ihre Meinung geäußert und zahlreiche ausländische Prominente auf der Durchreise den bayerischen Hörern fünfzehn Minuten gewidmet hatten, waren die politischen Redakteure des Bayernfunks darauf aus, einen Sprecher des im Westen stark in Mode kommenden Jugoslawien an ihr Mikrophon zu bringen.
Ihnen schwebte dabei zunächst Staatschef Tito selbst vor, der mittlerweile mit dem englischen Königshaus Hände geschüttelt und so aller Welt seine Hoffähigkeit demonstriert und den der Nordwestdeutsche Rundfunk seinen Hörern inzwischen mit einem Interview dargeboten hatte.
Jugoslawiens Münchner Generalkonsul, Bogdan Osolnik, ließ aber die bayerischen Funkleute wissen, daß Tito für sie nicht zu haben sei. An seiner Stelle stehe Moscha Pijade zur Verfügung, der führende Theoretiker der Partei.
Bei Nennung dieses Namens hegten die Männer um Cube keinen Argwohn. Am Ostersamstag kam denn auch aus Belgrad der Anruf, daß das Band besprochen sei, und am Dienstag traf es auf dem Luftwege in München ein. Mittwoch morgen also konnten die bayerischen Zeitungen den ausländischen Funk-Gast für den Abend ankündigen, während von der politischen Redaktion des Senders das hektographierte Manuskript der Pijade-Rede mit Sperrfrist an Zeitungen und Dauerabonnenten der Sendereihe unter der Bonner Prominenz versandt wurde. Voreilig, wie die spätere Entwicklung bewies.
An diesem Mittwoch nämlich wurde der Sender mit Anrufen überschüttet, die nicht nur von ehemaligen Jugoslawien-Deutschen oder von serbischen Emigranten kamen, sondern besonders zahlreich von den Kroaten, die im katholischen Bayern eine zweite Heimat gesucht hatten, nachdem sie vor Titos Kommunismus aus Jugoslawien geflohen waren.
Von jenen Kroaten stammte auch ein Flugblatt, das an diesem Mittwoch in München verteilt wurde und in dem unter der Überschrift „Wer ist Moscha Pijade?“ nicht etwa darauf hingewiesen wurde, daß der intelligente Sproß einer jüdischen Belgrader Kaufmannsfamilie 1906 bis 1909 an der Münchner Maler-Akademie studierte, 1911 den ersten Journalistenverband Serbiens gründete und in den folgenden Jahren Molière und Rabelais übersetzte, bevor er die Arbeiterbewegung in Jugoslawien organisierte, schließlich zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt wurde und im Gefängnis Josip Broz-Tito kennenlernte.
Das Flugblatt stellte vielmehr in acht Punkten das Mitglied des obersten Stabes der Partisaneneinheiten Jugoslawiens heraus als den „kompromißlosen Feind und Hasser der katholischen Kirche hinter dem Eisernen Vorhang. Auf Befehl Pijades wurden zwei Bischöfe ermordet, ebenfalls 371 Weltpriester und 150 Ordensbrüder, wovon 14 Franziskaner in einem Klosterkeller, mit Petroleum übergossen, lebendig verbrannten. Noch heute befinden sich in den Gefängnissen über 100 Geistliche, an der Spitze mit dem an Tuberkulose schwerkranken Mostarer Bischof, Dr. Peter Cule, und dem internierten Kardinal Stepinac …“
Mit dem Namen Stepinac hatte nun „Mirko Samia, Kroate“, der für dieses Flugblatt verantwortlich zeichnete, eine Figur beschworen, deren Schicksal schon im vergangenen Sommer die bayerische Staatsregierung veranlaßt hatte, einen ursprünglich geplanten Empfang einer jugoslawischen Journalistendelegation zu unterlassen ( Spiegel 29/1953).
Was Bayerns Funkverantwortliche übersehen hatten, war nämlich die Tatsache, daß Joseph Kardinal Wendel von München-Freising am Collegium Germanicum et Hungaricum in Rom Kurskollege des Kardinals Stepinac war und daß es Kreise in Bayern gibt, die entschlossen sind, ihrer Rücksicht auf solche Zusammenhänge die außenpolitischen Realitäten unterzuordnen.
Unter solchen langsam dämmernden Einsichten wurde es 18.30 Uhr. Um diese Zeit unterrichtete Intendant Rudolf von Scholtz den Chefredakteur Walter von Cube davon, daß Landtagspräsident Dr. Dr. Alois Hundhammer angerufen und Bedenken gegen die Pijade-Sendung angemeldet habe.
Cube rief jetzt seinerseits Hundhammer an, und da eine persönliche Besprechung der beiden für ratsam gehalten wurde, fuhr der Chefredakteur hinüber ins Maximilianeum zum Landtagspräsidenten, der zugleich Vorsitzender des Verwaltungsrats des Bayerischen Rundfunks ist. Bei Hundhammer traf Cube schon den stellvertretenden Vorsitzenden des Rundfunkrats, den CSU-Landtagsabgeordneten Max Zillibiller, sowie den Fraktionsvorsitzenden der CSU im Landtag, den Prälaten Georg Meixner.
Diese Herren empfahlen nun dem Rundfunkmann gemeinsam, die geplante Sendung abzusetzen, andernfalls werde die CSU im Landtag zu Protestmaßnahmen schreiten. Solchen Hinweisen fügte im Verlauf des Abends der Münchner Weihbischof Johannes Neuhäusler noch die Mitteilung hinzu, daß im Falle der Pijade-Ansprache eine scharfe Reaktion nicht ausbleiben könne.
Seinen Gesprächspartnern von der CSU setzte Cube zunächst auseinander, daß die weltpolitische Entwicklung doch mittlerweile so gelaufen sei, daß man sich freuen könne, Jugoslawien im westlichen Lager zu wissen, dementsprechend unterhalte die Bundesregierung ja auch diplomatische Beziehungen zu diesem Lande und sei dort durch einen Botschafter vertreten. Außerdem sei die Rede Pijades absolut im Sinne der Politik des Bundeskanzlers.
Moscha Pijade, der die Delegation jugoslawischer Parlamentarier beim Besuch Griechenlands und der Türkei geführt hatte, wollte nämlich angesichts der Ankara-Reise Marschall Titos den Hörern des Bayerischen Rundfunks einiges über den Balkanpakt berichten, der „auf dem weiten europäischen Gebiet … eine allgemeine Sicherheit und Stärkung des Friedens herbeiführen“ werde.
Indes, auch dieser Einwand zog nicht. Die prominenten Sprecher der CSU wiesen, wie schon die katholischen Kroaten vorher, darauf hin, daß es nicht um die Rede gehe, sondern darum, daß Moscha Pijade ein Mann sei, an dessen Händen Blut klebe, und zwar solches von Priestern und von deutschen Landsleuten. Es gehe nicht an, ihn in der repräsentativsten Sendung des Bayerischen Rundfunks zu Worte kommen zu lassen.
Angesichts solcher christlich-sozialen Entschlossenheit bat Chefredakteur Walter von Cube den Landtagspräsidenten, die Zustimmung der anderen politischen Parteien Bayerns einzuholen, da er nunmehr gesonnen sei, sich der einstimmigen Meinung des Landtags zu beugen.
Während die CSU für ein solches Votum, das weder im bayerischen Rundfunkgesetz noch in irgendeinem anderen bayerischen Gesetz seine Grundlage hat, schon in Dr. Dr. Hundhammers Präsidentenzimmer hinreichend repräsentativ vertreten war, wurde nach den Fraktionsvorsitzenden der übrigen Parteien gefahndet.
Bayernpartei-Chef Professor Josef Baumgartner wurde telephonisch erreicht und stimmte der Absetzung der Sendung spontan zu.
Von den Verantwortlichen der SPD war indessen niemand greifbar, so daß Präsident Hundhammer gezwungen war, beim SPD-Innenminister und Landtagsabgeordneten Dr. Hoegner Rückfrage zu halten, der seinen Freund Hundhammer kaum je im Stich gelassen hat. Selbstverständlich stimmte auch Hoegner der Absetzung zu.
Die FDP blieb völlig unerreichbar, und der Zustimmung des BHE fühlten sich die abendlichen Programmgestalter vom Bayerischen Landtag ohnehin sicher.
Chefredakteur von Cube, der bei diesen Bemühungen der Politiker eine „Pilatus-Haltung“ – wie er es nannte – einnahm, kam dann gerade noch rechtzeitig ins Funkhaus, um die Sendung abzusetzen.
Inzwischen hat der jugoslawische Botschafter in Bonn, Dr. Ivekovic, sein Mißfallen darüber geäußert, daß Pijades Vortrag abgesetzt wurde.
Die Landesleitung der bayerischen SPD hat sich von der Absetzungsmaßnahme der beteiligten Landtags-Abgeordneten distanziert. Ihre Vertreter im Rundfunkrat werden eine Untersuchung des Vorfalls durch den Richtlinienausschuß fordern.
Und die Bundesregierung bedauerte den Vorfall „ungemein“. Da jedoch aus Belgrad noch kein Protest vorlag, hat sie bisher von einer konkreten Erklärung abgesehen.
Der Dr. Hundhammer aber, der seine Haltung in außenpolitischen Fragen schon früher dadurch zum Ausdruck brachte, daß er beispielsweise am „15. Jahrestag der Unabhängigkeit der Slowakei“ kürzlich vor den katholischen Münchner Slowaken als Festredner auftrat, hat hier nicht zum erstenmal einen Eingriff in die Unabhängigkeit des Senders vorgenommen, über dessen Unantastbarkeit zu wachen er als Vorsitzender des Verwaltungsrates verpflichtet ist. Erst vor wenigen Wochen wurde eine Kabarettnummer der „Kleinen Fische“, die sich mit dem Problem der Onkel-Ehen kritisch auseinandersetzte, auf seine Intervention hin vom Programm abgesetzt.
So kam es, daß die Münchner „Abendzeitung“ das Ereignis vom Mittwoch mit zwei in Bayern schon selbstverständlich klingenden Zeilen überschrieb: Hundhammer protestiert – Sendung abgesetzt.
Es gibt Leute in München, die sich fragen, was der Bayerische Rundfunk tun würde, wenn die Gewerkschaften eines Tages gegen Franco als Rundfunkredner protestierten
Der Spiegel 18 vom 28. April 1954, 12 ff.