Materialien 1956
Falschspiel mit Mordziffern
Ein neuer Prozess gegen die verantwortlichen Redakteure der Zeitung „Die Anklage“ wird im Herbst in München beginnen. In diesem Verfahren soll zum ersten Male eine gerichtliche Feststellung über die Zahl der im Dritten Reich umgekommenen Juden herbeigeführt werden. Dokumentarische Belege liegen für rund 4 Millionen Opfer der Judenverfolgung vor. Darüber hinausgehende Ziffern stützen sich bisher auf Schätzungen.
„Die Anklage“ hatte vor Jahresfrist behauptet, die Zahl ,der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus betrage im Höchstfalle 235.000. Diese Behauptung hat ein Münchner Publizist in einem Rundfunkkommentar und in verschiedenen Presseveröffentlichungen im April dieses Jahres als Fälschung bezeichnet. Er wird seither in jeder Ausgabe der „Anklage“ als „gewissenloser und völlig verantwortungsloser Mensch“ beschimpft und aufgefordert, zu beweisen, „dass Deutsche sechs Millionen Juden vergast, gehängt oder erschossen haben“.
In ihrer Ausgabe vom 1. August stellt „Die Anklage“ den von ihr zugestandenen 235.000 jüdischen Opfern des Nationalsozialismus 4,8 Millionen Deutsche gegenüber, die angeblich nach 1945 von den Alliierten „in zum Teil viehischer Weise“ ermordet worden seien. Von diesen, so schreibt „Die Anklage“, sei keiner plötzlich wieder aufgetaucht, um Schwarzmarktgeschäfte zu machen oder im Restitutionsverfahren seinerzeit ordnungsgemäß verkaufte und mit Devisen bezahlt erhaltene Grundstücke sich wieder anzueignen.
Wörtlich heißt es: „Wir werden in Zukunft jeden, ohne Ansehen der Person oder des Standes, öffentlich als gemeingefährlichen Lügner bezeichnen, der es wagen sollte, zu behaupten, ohne dafür den Beweis zu erbringen, dass durch Deutsche sechs Millionen Juden gehängt, vergast oder sonstwie ermordet worden seien. Es wird sich dann erweisen, ob solche Leute, die den traurigen Mut und vor allem die unglaubliche Gewissenlosigkeit besitzen, derartige Feindlügen aus der Kriegszeit heute noch immer zu verbreiten, statt an der restlosen Aufklärung jener Geschehnisse gewissenhaft mitzuarbeiten, auch mutig genug sind, uns zu verklagen …“
CrP-Informationsdienst. Club republikanischer Publizisten im Grünwalder Kreis, August 1956, München, 1.