Materialien 1958

Geschäft mit Geheimakten

Die seltsamen Methoden Münchner Polizeipräsidenten

Mit seinen Polizeipräsidenten hatte München in den ersten Nachkriegsjahren Pech. Dem in eine Gauner-Affäre verwickelten Franz Xaver Pitzer … folgte Ludwig Weitmann. Gegen ihn wurde in Zusammenhang mit einem Weinschieber-Skandal wegen eines Devisenvergehens und Nötigung ermittelt und dann noch einmal – er war inzwischen zum Oberrechtsrat degradiert worden – wegen Meineids. Im Prozess wurde Weitmann beim Kreuzverhör dermaßen in die Enge getrie-
ben, dass er nur noch ausweichende Antworten gab und einer der Verteidiger ausrief: „Wie der Polizeipräsident in der Dreigroschenoper.“ Gerichtlich geklärt wurde der Fall nie. Der nächste Polizeichef hieß Anton Heigl.

„Weil er die Liebe zum Alkohol höher stellte als die Liebe zur Sauberkeit seines Berufs“, so sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer, wurde der 39-jährige Münchner Kriminalkommissar Sieg-
fried Altmannspecher1 zum Verbrecher. Er stahl Akten aus der Kriminalregistratur des Polizeiprä-
sidiums und betrieb damit einen schwunghaften Handel, bei dem er an die 1.000 DM verdiente. Im Januar 1958 stand er deshalb mit sechs seiner „Kunden“ vor Gericht.

In einer Schwabinger Kneipe hatte sich der Kriminalist mit dem verkrachten Immobilienmakler Heinrich Eller angefreundet. Als er immer wieder über Geldsorgen klagte, machte ihm sein Zech-
kumpan den Vorschlag, sich an die polizeiliche „Personalaktenverwaltung“ heranzumachen und bestimmte Papiere, die kaufkräftige mögliche Interessenten belasteten, zu entwenden.

Eller hatte von dieser geheimen Registratur, die schätzungsweise sechs Millionen Personalakten von Münchner Bürgern umfasste, als früherer SD-Mann Kenntnis. Die Informationen über solche Geschäftsfreunde, deren dunkles Vorleben hier verzeichnet war, sollte der ehemalige „Nazi-Schnüffler“, wie in der Verhandlung bekannt wurde, von dem inzwischen verstorbenen, früheren Reichsleiter Max Amann2 erhalten haben.

Es handelte sich also vorwiegend um politische Notizen. So hatten die Brüder Richard und Al-
brecht Greiner starkes Interesse an der Beseitigung ihrer Polizeiakten, die sie als frühere SD-Mitglieder auswiesen. Eller ließ sich die Dokumente von Altmannspecher beschaffen und das Brüderpaar steckte sie dann in den Ofen, nachdem es 500 DM „Vermittlungsprovision“ entrichtet hatte.

Daneben richtete sich das Interesse der Aktenhändler auf bestimmte Vorstrafen- und Ermittlungs-
niederschriften. Damit versorgten der ungetreue Kommissar und sein Duzfreund Eller den Barbe-
sitzer und ehemaligen Bobmeister Christian Lob sowie den Bankdirektor Konrad Menzer Dieser bestritt jedoch später vor Gericht, jemals solche Urkunden erhalten zu haben, während die ande-
ren fünf Mitangeklagten den Empfang der gestohlenen Papiere bestätigen mussten.

Nur einer der Empfänger, der Hotelbesitzer Thomas Wester, bekam plötzlich Gewissensbisse. Of-
fenbar war ihm das, was er in seinen Personalakten lesen konnte, auch gar nicht die 6.000 Mark wert, die er den Zuträgern versprochen hatte: „Sie enthielten fast nur Zeitungsausschnitte und anonyme Verdächtigungen. Als ich las, was über mich alles zusammengetragen worden war, wollte ich am liebsten mit mir selbst nicht mehr verkehren.“

Nachdem Wester also seinen Rechtsanwalt konsultiert und schon einige Papiere verbrannt hatte, zeigte er den Vermittler Eller an. Die Polizei ließ diesen nun ein Telefongespräch mit Altmanns-
pecher führen, und daraufhin konnten die Kripo-Beamten ihren bestechlichen Kollegen sofort überfuhren. Vor Gericht spielte er den Ehrenmann: „Ich bin kein Denunziant.“ Aber er ließ doch durchblicken, dass er von Eller erpresst worden sei. Er wisse freilich, dass er für seine ungerechten Taten hoch bezahlen müsse.

Wegen schwerer aktiver Bestechung und Aktenbeseitigung wurde Altmannspecher zu zwei Jahren und fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Seine Mitangeklagten kamen mit etwas milderen Strafen davon.

Mit Besorgnis fragte man sich jetzt aber in München: Ist die Polizei befugt, geheime Personalakten von harmlosen Bürgern anzulegen, und wohin soll dieses Spitzelwesen führen? Die sechs Millionen Akten, aus denen sich der Kriminalkommissar bedient hatte, lagerten, säuberlich in roten Einbän-
den geordnet und verschnürt, in einem siebenstöckigen Gebäude mit vergitterten Fenstern, von dessen Existenz die Bevölkerung bisher schon deshalb nichts erfahren konnte, weil es vom riesen-
haften Komplex des Polizeipräsidiums völlig eingeschlossen war.

Was wurde hier verwahrt? Zunächst natürlich, wie in allen Polizeizentralen, die große Masse der Strafakten, von Bürgern also, die schon einmal mit dem Gesetz oder mindestens der Polizei in Kontakt geraten waren. Der mehrmals vorbestrafte Gewaltverbrecher war da ebenso registriert wie der Mann, der vielleicht einmal irrtümlich des Diebstahls verdächtigt, aber wieder außer Strafver-
folgung gesetzt worden war.

Daneben aber sammelte dieses Geheimarchiv, wie in dem Prozess bekannt und danach von der Polizei bestätigt wurde, auch „Material“ über völlig unbescholtene Bürger, die noch nie mit der Polizei zu tun hatten. Ein anonymer Brief eines gehässigen Nachbarn oder auch nur ein einfacher Passantrag genügten, um als sogenannte „Produkte“ zu den Akten gelegt zu werden.

Die Registratur war allerdings so geheim, dass nur 32 Spezialbeamte Zugang hatten und die Akten lediglich „streng vertraulich“ für den internen Gebrauch der Kriminalpolizei verwendet werden durften. Selbst Staatsanwaltschaft und Gericht erhielten „nur in besonderen Fällen“ Einsicht. Strengste Vorschriften sollten jeden Missbrauch ausschalten. „Das wird natürlich da hinfällig, wo es ein verbrecherischer Mensch darauf anlegt“, sagte ein Registraturbeamter, der auf die im Pro-
zess aufgedeckten Missstände angesprochen wurde.

„Die Kartei ist unser Gedächtnis bei der Verbrecherjagd“, rechtfertigte Polizeipräsident Anton Heigl3 diese in Westdeutschland wohl einmalige Dokumentensammlung. Er musste jedoch zuge-
ben, dass es außer dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz, das nur allgemein der Polizei die „Ver-
brechensbekämpfung und -verfolgung“ zuwies, keine gesetzliche Bestimmung gab, die eine Geheimregistratur in solchem Umfang vorschreiben würde. „Jedenfalls gibt es auch kein Gesetz“, meinte der Präsident, „das uns die Anlage von derartigen Handakten verbietet.“

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1 Die Namen der Privatpersonen sind in diesem Kapitel vom Autor geändert worden.

2 Max Amann war im 1. Weltkrieg zeitweilig Vorgesetzter des Gefreiten Hitler; er wurde 1921 Geschäftsführer des „Völkischen Beobachters“ und 1922 Reichsleiter für die gesamte deutsche Presse. Die Spruchkammer verurteilte ihn als Hauptschuldigen zu zehn Jahren Arbeitslager.

3 Heigl wurde nach dem unverhältnismäßig harten Eingreifen der Polizei bei den Schwabinger Krawallen 1962 abgesetzt und durch Manfred Schreiber ersetzt.


Karl Stankiewitz, Weißblaues Schwarzbuch. Skandale, Schandtaten und Affären, die Bayern erregten, München 2019, 126 ff.

Überraschung

Jahr: 1958
Bereich: Bürgerrechte

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