Materialien 1958

Protest im Isartal

Der Münchener Jubiläumssommer wird vielleicht vielen Besuchern Gelegenheit geben, auch einmal der näheren Umgebung der bayerischen Landeshauptstadt ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Es wäre nämlich für alle Beteiligten erfreulich, wenn die seit der allgemeinen Motorisierung bei den Reisenden eingenistete Vorstellung: das Land zwischen München und dem Alpenrand sei eine möglichst schnell zu durchrasende letzte Rennstrecke vor dem lohnenden „Ziel“, eine Revision erfahren könnte.

Die Sache mit der „Rennstrecke“ ist leider keine rednerische Übertreibung mehr. Sie fängt vielmehr an, in bedrohlicher Weise amtliche Auffassung zu werden, die behördliche Maßnahmen zur Folge hat. Wie sonst hätte man auf den Einfall kommen können, eine Autobahn durch das Isartal zu planen; jenes waldreiche Flussbecken, das schon im Stadtgebiet beginnt und aufwärts von den Orten Großhesselohe, Pullach, Grünwald, Ebenhausen, Schäftlarn, Icking, Wolfratshausen gesäumt wird. Das Tal zählte bisher zu den landschaftlich schönsten, unberührtesten Siedlungs- und Wandergebieten, die sich irgendwo in der Welt in unmittelbarer Nähe einer Großstadt finden lassen!

Es kann keine Frage sein, dass die geplante Autobahn diesem zwar ziemlich langgestreckten, aber verhältnismäßig schmalen Landschaftsstreifen unsagbar schaden würde. Sowohl die höchst eigenartige Schönheit des Tales wie seine Ruhe würden dahin sein, und die Geschädigten wären nicht etwa nur die betroffenen Grundstückseigentümer und die zahlreichen privaten Waldbesitzer, sondern alle Bewohner des Isartales und alle Naturfreunde, Wanderer und Erholungsuchende Münchens. Alle protestieren sie nun aufs lebhafteste gegen dieses Vorhaben, dessen Notwendigkeit um so weniger einzusehen ist, als die nach Mittenwald führende Bundesstraße 11 entlang der Isar erst vor kurzem ausgebaut worden ist und jeder Laie begreifen kann, wieviel zweckmäßiger es wäre, die geplante Strecke – (es handelt sich um die Bundesfernstraße München – Lindau) – im Zuge der Straße 12 über die westliche Ausfahrt, über Landsberg am Lech und Memmingen zu leiten. Dagegen hätte niemand etwas einzuwenden; im Gegenteil: die in Betracht kommenden Bezirke reißen sich förmlich darum, die Autobahn zu bekommen. Sie haben sogar schon einen diesbezüglichen Antrag eingereicht. Aber nein: das Autobahnamt München, das vergeblich versucht, den Bewohnern des Isartals das Unternehmen schmackhaft zu machen, bezieht sich auf „gesetzliche Grundlagen“ dieser bösartigen Planung und behauptet, sie könne nur von Bonn aus geändert werden …

Wer nicht weiß, was das Isartal ist, sollte es sich anlässlich des Münchner Festsommers einmal anschauen. Seine hübschen Ortschaften haben behagliche Gast- und Erholungsstätten, seine landschaftlichen Reize werden von mancher baulichen Sehenswürdigkeit bereichert. Seine würzige Luft und nervenberuhigende Stille werden möglicherweise nicht wenigen Jubiläumsgästen zur Wohltat werden können, wenn der Trubel in München allzu beängstigend wird. w-h-


Die Zeit 20 vom 15. Mai 1958.

Überraschung

Jahr: 1958
Bereich: Umwelt

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