Flusslandschaft 1956
Frieden
Konrad Adenauer meint in einer Rede vor den neuen Streitkräften in Andernach am 20. Januar: „Es ist mir eine Freude, am heutigen Tage zu Ihnen zu sprechen. Nach Überwindung großer Schwierigkeiten sind Sie die ersten Soldaten der neuen deutschen Streitkräfte geworden … Dieser unser Beitrag und die enge Zusammenarbeit mit unseren Verbündeten … bedeuten für uns mehr als eine vertragliche Verpflichtung; sie sind uns eine Herzenssache.“1
Am 28. März demonstriert die Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK) gegen Aufrüstung und die Wiedereinführung des Wehrdienstes. Auf Transparenten heißt es: „Wir verweigern den Wehr-
dienst.“ „Der Feigling rückt zum Barras ein, der Mutige sagt deutlich NEIN!“ „Wie wollen weder für Dollar noch für Rubel sterben.“2
Heinz Huber erinnert sich: „Ich bin dann zu einer Versammlung der IdK in den Agnes-Bernauer-Stuben in der Agnes-Bernauer-Straße in Laim gegangen. Geleitet haben die Versammlung ein alt-
katholischer Pfarrer aus Augsburg und ein Münchner Rechtsanwalt. Da wurde ich dann Mitglied und beteiligte mich an Demonstrationen und vor allem bei Infoständen. Wenn wir Flugblätter verteilten, mussten wir uns viele Beschimpfungen anhören wie ‚Drückeberger’, ‚Lausbuben’, ‚Verräter’, ‚Homosexuelle’ und ‚Feiglinge’. Oft hörte ich auch ‚Geht’s doch rüber!’. Manchmal wurde es auch rabiat und es kam zu einer Schlägerei.“4
„Das jüngste Dokument des amerikanischen Militärnachrichtendienstes über (Wolfgang) Abend-
roth datiert vom 17. April 1956 und führt uns mitten in die geheimdienstlichen Aktivitäten zur Überwachung der Friedensbewegung. Als der renommierte Hochschullehrer am 22. März 1956 auf Einladung des bayerischen DGB-Landesvorstands in München auf einer von der sozialdemokrati-
schen Jugendorganisation ‘Die Falken’, von den Jungsozialisten, von den Naturfreunden und dem Sozialistischen Studentenbund getragenen Veranstaltung gegen die Wiederbewaffnung auftrat, ließ die in der Münchner McGraw-Kaserne ansässige 66th CIC Group das mit 1.000 jungen Gewerk-
schaftlern gut besuchte Treffen observieren. Ihr besonderes Augenmerk galt der dem eingeschleu-
sten Agenten offensichtlich gut persönlich bekannten KPD-Delegation. Der Geheimdienstbericht vom 17. April 1956 fasste nämlich nicht nur die CIC-Erkenntnisse über den Sozialdemokraten Abendroth zusammen, sondern blätterte auch die Erkenntnisse über sechs führende Köpfe der 20 bis 25 Aktivisten umfassenden KPD-Gruppe auf. Die Geburtsdaten, Adressen und Positionen in der bayerischen KPD und FDJ von Rudolf Walentan, Christl Zellner, Karoline Sachsberger, Wal-
traud Hommel, Erna Müller und ihrem Ehemann Alexander werden ebenso penibel aufgeführt wie die Tatsache, dass der Gastredner vom regionalen DGB-Vorsitzenden Ludwig Koch eingeführt wurde.5
Am 9. Juni verabschiedet die Bundesregierung das Wehrpflichtgesetz. Am 17. Juni ändert das „Westdeutsche Friedenskomitee“ seinen Namen in „Friedenskomitee der Bundesrepublik Deutsch-
land“ (FKdBD). Sekretär des „Landesfriedenskomitees Bayern“ ist Eduard Fladerer.6
Die „Pariser Verträge“, durch die die BRD in der Westeuropäischen Union (WEU) und in der NATO vollwertiges Mitglied wird, werden am 7. Juli mit 392 zu 20 Stimmen im Bundestag ratifi-
ziert; die SPD stimmt zu. Anfang August demonstrieren in München Tausende Gewerkschafte-
rinnen und Gewerkschafter gegen die Wiederbewaffnung auf dem Königsplatz.7
„In der Überzeugung, dass es erforderlich und zweckmäßig ist, den Träger des Rüstungspotentials so früh wie möglich in alle verteidigungswirtschaftlichen Angelegenheiten einzuschalten und den Sachverstand der Industrie nicht ungenutzt zu lassen, hat er seine verteidigungswirtschaftlichen Organe den maßgeblichen Stellen zur Verfügung gestellt und diesen damit wertvolle Unterlagen für ihre Entscheidungen geliefert."8
Franz Josef Strauß: „Wir leben in einem technischen Zeitalter, in dem die vereinigte Stärke unserer Bundesgenossen ausreicht, um das Reich der Sowjetunion von der Landkarte streichen zu kön-
nen.“9
(zuletzt geändert am 25.5.2020)
1 Zit. in: Sag nein, wenn du nicht töten willst. Geschichte und Stand der Wehrdienstverweigerung. Auf- und Abgeschrieben von Heinz Stuckmann, Köln um 1958, 63.
2 Fotos: Stadtarchiv Standort ZB-Ereignisfotografie-Politik-Demonstrationen.
3 Die Tat 13 vom 31.3.1956, 7.
4 Heinz Huber in der Sendung „Nie wieder Barras, nie wieder Krieg“ des Friedensforums in Radio Lora am 7. September 1989.
5 Vgl. REGION IV, 66th CIC GROUP vom 17.4.1956: “KPD Youth Commission ©”, in: National Archives and Record Administration (NARA), Washington D.C., Record Group 319 (Records of the Army Staff) Abendroth, Wolfgang, www.bdwi.de/forum/archiv/archiv/4792371.html.
6 „In München existiert … seit Jahren ein Diskussionsforum mit dem unverfänglichen Namen ‚Arbeitskreis für Fragen des Zeitgeschehens‘. Als Vorsitzende fungiert die Freifrau Mira von Kühlmann. Die Veranstaltungen des von ihr ‚geleiteten‘ Ar-
beitskreises werden hintergründig vom hauptamtlichen Sekretär des Landesfriedenskomitees Bayern, dem KP-Funktionär Eduard Fladerer, mitgesteuert. Da der Genosse Fladerer wie auch das Landesfriedenskomitee Bayern kommunistisch abge-
stempelt sind, bietet der so aufgezogene ‚Arbeitskreis‘ die wirksamsten Ausstrahlungsmöglichkeiten; er blieb bisher weitge-
hend von der ‚Verdächtigung‘, eine KP-Tarngruppe zu sein, verschont. Sekretär Fladerer wurde von der Düsseldorfer Zen-
trale dafür mit Lob bedacht. Er habe, wie es hieß, mit der von ihm entwickelten Methode der Agitation ein Beispiel dafür ge-
geben, wie ‚manche Aufgaben unter bestimmten Bedingungen‘ zu lösen seien.“ Verschwörung gegen die Freiheit. Die kom-
munistische Untergrundarbeit in der Bundesrepublik. Hg. von der Münchner Arbeitsgruppe „Kommunistische Infiltration und Machtkampftechnik“ im Komitee „Rettet die Freiheit“ [unter Mitarbeit von Hans Hartl], München (Frühjahr 1960), 110.
7 Siehe „gegen wiederbewaffnung“.
8 Geschäftsbericht 1955/56 des Bundesverbandes deutscher Industrie, S. 178, zitiert in: das münchner rationaltheater. ein politisches kabarett. „Vom Segen in die Traufe“, Programmheft 1965, unpag.
9 Nürnberger Nachrichten vom 13.11.1956 und Der Spiegel 1 vom 2.1.1957, 11.