Materialien 1960

Kampf gegen Alt-Nazis

… Dann traten unliebsame Sachen auf. Wir unterstanden als Patentamt nicht dem Bundesjustizministerium, wie man annehmen könnte, oder wie ich es für richtig gehalten hätte, sondern dem Wirtschaftsministerium. Sie brachten diese ganzen alten Socken bei uns unter, diese Blutrichter. Die Freisler-Witwe kam persönlich in die Kasse des Deutschen Patentamts, um ihre Pension abzuholen. Damals bekam man das noch nicht überwiesen. Das war ein Getue und Gemache. Ich beschwerte mich darüber: „Das ist ja allerhand. Wir leben doch jetzt in einer Demokratie. Und diese Leute sind immer noch da. Die können sie doch beurlauben oder entlassen.“

1960 bin ich in die ÖTV und wurde Personalrätin. Die „feinen“ Leute im Patentamt waren alle in der DAG (Deutsche Angestellten Gewerkschaft). Der Hans Ertl war Arbeitervertreter, der war auch in der ÖTV. Ich sagte: „Hansi, diesmal stimme ich nicht ums Verrecken zu, dass die alten Nazis z.B. vom Volksgerichtshof etc. beim Patentamt arbeiten. Mir hängt das zum Hals raus mit den Volksgerichtshofleuten, die hierher kommen. Wir sind zwei zu drei.“ Zu dem DAG-Vertreter sagte ich: „Ich weiß, dass du nicht mit uns kleinen Leute mitstimmst. Das verstehe ich überhaupt nicht, du könntest doch mit uns mitstimmen.“ Wir waren zu viert (2 ÖTV, 2 DAG). Da dachte ich, ich gehe aufs Ganze. Ich stelle den Antrag, dass der Personalrat zurücktritt, weil wir die gesamten Personalunterlagen zur Prüfung haben wollen. Wir wollen wissen, was die für Urteile gefällt haben. Wir nehmen die Kerle nicht mehr. Alle Einstellungen brauchten die Zustimmung des Personalrats.

Wir traten dann auch zurück. Anschließend wollten wir zum Präsidenten gehen, der aber gerade in Paris zu einer Besprechung war. In der Nacht kam er zurück, weil sein Personalrat zurückgetreten war. Das verursachte schon riesige Aufregung.

Wir erklärten ihm dann unsere Gründe. Ich meinte, dass es so nicht ginge. Um die Männer des 20. Juli wurde ein großes Geschrei gemacht und die einzelnen Soldaten, die Widerstand geleistet haben, sind bis jetzt noch nicht rehabilitiert. Und dann das bei uns. Die Demokratie sei wohl eine Einbahnstraße. Vielleicht würde unser Blutrichter auch noch Ministerpräsident, wie der Filbinger in Baden-Württemberg. Der war Richter und hat noch am letzten Kriegstag einen Jungen aufhängen lassen. Nächstes Jahr kriegen wir vielleicht einen Präsidenten des Patentamtes, der Blutrichter war. Also, wir stritten uns mächtig.

Aber es wirkte, sie trauten sich nicht mehr, so einen zu uns zu versetzen.

Annelise Kramer


Ingelore Pilwousek (Hg.), Wir lassen uns nicht alles gefallen. 18 Münchner Gewerkschafterinnen erzählen aus ihrem Leben, München 1998, 112 f.

Überraschung

Jahr: 1960
Bereich: Nazis

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