Materialien 1960

Beschlagnahme: Aber der Novak

Als die Münchner Barbesitzerin Gisela Jonas (Werbe-Slogan: „bei Gisela“) gegen 8.30 Uhr morgens ihre Wohnungstür öffnete, sah sie sich zwei Polizeibeamten gegenüber. Noch schlaftrunken – sie hatte ihr weithin bekanntes Schwabinger Nachtlokal erst wenige Stunden zuvor geschlossen – vernahm sie, daß die Beamten gekommen waren, die bei ihr gelagerten Exemplare jener Schallplatte zu konfiszieren, die Gisela Jonas mit dem Chanson „Aber der Novak …“ (Rückseite: „Späte Reue“ und „Morgengrauen“) besungen hatte.

Die Polizeiaktion am Freitag der vorletzten Woche galt, wie die 31jährige Jonas den Äußerungen der Polizisten entnahm, den „schamverletzenden und unzüchtigen Textstellen“ der Platte. Ähnlich wurden Inhaber Münchner Schallplatterlgeschäfte beschieden, die auf Geheiß der Polizei ebenfalls ihren Bestand an konservierten Jonas-Songs herausgeben mußten „Es ist unbegreiflich“, empfand die singende Barbesitzerin. „So auf einmal?“

Die Beschlagnahme erschien in der Tat verwunderlich. Unbeanstandet von den Behörden, pflegt Gisela Jonas nämlich schon seit Jahren die Gäste ihres Etablissements mit libertinösem Gesang zu unterhalten. Zu vorgerückter Stunde („Wer Gisela hören will, kommt um Mitternacht“) erklimmt sie fast allabendlich das nur von Kerzenlicht erleuchtete Podium und singt mit rauchiger Altstimme Verse wie: „Der erste bestach mich mit Wermut und Sekt, ich hab’ noch die Tropfen vom Glase geleckt“ (Titel: „Die Bar“).

Zum Repertoire der Gisela Jonas zählt der musikalisch aufbereitete Lebensbericht einer Berliner Hure („Morgengrauen“), in dem es etwa heißt:

Een Lustjreis beehrt mir, mit Band und Monokel -
pervers ist der olle meschuggene Gockel.
Die Peitsche vasteckt er ins Schirmfutteral
uff „strenge Erziehung“, denn klappt et nochmal!

Und seit langem können die Gisela-Gäste auch das „Novak“-Lied in einer freimütigen Spielart hören. Sie hat nur den ersten Vers mit der Originalfassung gemein, die durch die Wiener Chansonette Cissy Kraner berühmte wurde. Singt Gisela nach der „Novak“-Melodie:

Ich wollt’ die Venus lesbisch überraschen,
am Mars den alten Heidengott vernaschen.
Den Mann im Mond hätt’ ich ins Bett genommen,
aber der Novak läßt mich nicht verkommen.

Um den Erfolg derartiger Werke geschäftlich besser auswerten zu können, folgte Sängerin Jonas im vergangenen Jahr der Anregung eines Schallplatten-Industriellen und brachte drei Songs („Aber der Novak …“, „Morgengrauen“ und „Späte Reue“) auf einer 17-Zentimeter-Platte heraus. Das Geschäft florierte bis zur vorletzten Woche, als die Platten beschlagnahmt wurden. Entrüstete sich Gisela: „Immer wieder kommen hohe Richter und Staatsanwälte in mein Lokal. Seit drei Jahren singe ich dort das ‚Novak’-Lied, und niemand fand es anstößig.“

Seit vor kurzem in der bayrischen Metropole auch Bierkrüge mit den aufgebrannten Bildern nackter Dirndl auf behördliche Anordnung von den Biertischen verschwanden und die Strip-Tease-Tänzerinnen sich nicht mehr wie bisher total entkleiden dürfen, glauben viele Münchner nun den Grund für die unvermittelt praktizierte Sittenstrenge zu erkennen: Im Sommer findet in München der Eucharistische Weltkongreß statt.


Der Spiegel 11 vom 9. März 1960, 76.

Überraschung

Jahr: 1960
Bereich: Zensur

Referenzen