Materialien 1961
Münchner Verkäuferinnen im Gegenangriff
Starke Beteiligung an der Meinungsumfrage unserer Gewerkschaft
Einstimmige Meinung: der lange Samstag muss weg!
Zu vielen tausend wurde vom Verkaufspersonal und den anderen im Einzelhandel Beschäftigten unsere Meinungsumfrage über die Verkaufszeiten beantwortet. In einmütiger Geschlossenheit und Offenheit nahmen die Einzelhandelsangestellten zu den vorgelegten Fragen Stellung. Ebenso ent-
schieden wie sie die Frage nach dem Bestehenbleiben des freien Samstagnachmittags bejahten, sagten sie aber auch zu, für die Beibehaltung des freien Wochenendes notfalls gewerkschaftliche Maßnahmen zu unterstützen.
Wünsche und Vorschläge
Tausende nahmen aber auch die Gelegenheit wahr, ihre persönliche Meinung in Vorschlägen
und Wünschen zur Regelung der Ladenschlussfrage zum Ausdruck zu bringen. Auf einen kurzen Nenner gebracht, ergab sich dabei folgendes Bild:
1. Die derzeitigen Ladenschlusszeiten können und dürfen nicht verändert, d.h. verlängert werden. Dies geht aus den überwiegenden Antworten ohne weitere Bemerkungen hervor.
2. Die Auswertung der zusätzlichen Vorschläge ergibt in der Überzahl die Meinung: der „lange Samstag“, d.h. jeweils in der Regel der erste Samstag im Monat, muss verschwinden. An keinem Samstag sollen die Geschäfte länger als bis 12 Uhr mittags offen gehalten werden.
3. Ein großer Teil der befragten Einzelhandelsangestellten geht einen wesentlichen Schritt weiter, er will, dass ein bis alle Samstage im Monat die Geschäfte des Münchner Einzelhandels geschlos-
sen bleiben. Mit dem Ziel der 40stündigen Arbeitswoche soll die Arbeitszeit auf die übrigen Ver-
kaufstage verteilt werden, wobei für den Freitag die Möglichkeit einer außerordentlich verlänger-
ten Öffnungs- und Arbeitszeit eingeräumt wird. Ein kleinerer Teil möchte für die Samstage, an welchen gearbeitet wird, am darauffolgenden Montag frei haben, wobei sie die Ladenzeitregelung der Friseure als annehmbaren Vergleich anziehen.
4. In nicht zu geringer Zahl verlangen die Einzelhandelsangestellten kompromisslos die Fünftagewoche.
Was dem einen recht ist …
Die meisten dieser Vorschläge enthalten gleichzeitig auch die Begründung. Die Frage der Versorgungsschwierigkeit könne demnach keine besondere Erschwerung solcher Regelungen darstellen, weil der Großteil auch der arbeitenden Hausfrauen am Freitag bereits um 16 Uhr, spätestens um 17 Uhr Arbeitsschluss machen. „Wir im Einzelhandel beschäftigten Frauen haben zum Einkaufen noch weniger Zeit, und kriegen unser Geld für die notwendigen Einkäufe trotzdem los.“ „Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig“ und „Bei gutem Willen dürfte der freie Samstag (oder freie Samstagnachmittag) überhaupt kein Problem sein“ – das sind einige der plausiblen Erklärungen für die Forderungen der Verkäuferinnen. „Wer den freien Samstagnach-
mittag im Verkauf anfeindet, ist herzlich eingeladen, meinen Arbeitsplatz einzunehmen“, sagen viele. Andere drohen, dass sie und Ihre Kolleginnen ihre Stelle als Verkäuferinnen sofort aufgeben würden, wenn es zur Abschaffung des freien Samstagnachmittags käme. In ähnlicher Weise beru-
fen sich viele andere auf die außerordentlichen Personalschwierigkeiten und die dadurch bedingte Arbeitsüberlastung im Verkauf. Dieser Erscheinung kann man nur durch ein verlängertes Wochen-
ende der im Verkauf beschäftigten Arbeitskräfte Herr werden, sagen sie mit Recht. Immer wieder finden wir unter den Antworten vergleichende Hinweise auf die Arbeitszeiten im Bankgewerbe, im öffentlichen Dienst und in der Industrie. Diese begreifliche Forderung nach Gleichheit findet u.a. sogar in Gedichtform einen wenn auch etwas drastischen Niederschlag:
Gleichheit für alle wollen wir!
So steht’s zumindest am Papier!
Hab’n wir nur „oben“ Demokratie“
und „unten“ kranke Beene?
Entweder sind wir Demokraten
oder… wir sind keene!
Gleichviel, zu welcher Entscheidung das Bundesverfassungsgericht in der Ladenschlussgesetz-
klage, die übrigens inzwischen auf den 29. November verschoben wurde, kommen wird, soviel steht heute bereits fest: wer meint, ohne Ladenschlussgesetz längere Verkaufszeiten einrichten
zu können, macht die Rechnung ohne Wirt. Die Einzelhandelsangestellten werden mit Hilfe ihrer Gewerkschaft HBV keine schlechteren Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen. Sie werden vielmehr im Angriff bleiben um eine Verbesserung ihrer Arbeitszeiten. Erfreulich an der Befragungsaktion unserer Gewerkschaft ist aber auch, dass viele Verkäuferinnen eingesehen haben, dass sie ohne Gewerkschaft auf verlorenem Posten ständen. Viele haben auf den Befragungszetteln gleichzeitig ihre Anmeldung zu unserer Gewerkschaft vollzogen.
Münchner Ausblick. Mitteilungen der Gewerkschaft Handel – Banken – Versicherungen HBV,
Ov. München 11 vom November 1961, 1.