Materialien 1961

Anstatt eines Weihnachtsgedichtes: Der Brief der Frau R.

Liebe Kollegen!

Zu meiner größten Freude erhielt ich Ihre Zuschrift wegen des Weihnachtsgeldes.

Durch meine Krankheit bin ich derart in Not geraten, dass ich Sie nun auf diese Weise bitten muss, mich zu beraten, wie es weitergehen soll. Habe um eine Rente eingegeben, aber der Vertrauensarzt erklärte mir, dass ich mein Arbeitssoll bis 65 Jahre erfüllen muss. Ich kann aber nicht mehr. War zuletzt Verkäuferin bei der Firma O., die mich wegen meiner Krankheit ausgestellt hat. Mein Lei-
den ist aber nicht geheilt und ich leide körperlich und seelisch schwer darunter.

Nun, sehr geehrter Herr M., wo soll ich mich denn hinwenden? Bekomme keinen Pfennig Geld, lebe von der Rente meiner schwerkranken Mutter (203,- DM), davon gehen allein schon 65 Mark für Miete ab. Soll nun Kohlen kaufen und weiß nicht womit. Meine Not ist durch meine Krankheit entstanden, aber wer hilft mir, wohin kann ich mich wenden? Ich wäre Ihnen zu großem Dank ver-
pflichtet, wenn Sie mir helfen könnten.

Mit kollegialem Gruß

Eine hilfesuchende Kollegin

C.R.

O deutsches „Wirtschaftswunder“, wie wenig strahlt dein Glanz in die Sorgenstuben derer, denen du deine Existenz mit verdankst. O Weihnachtsfest, wo bleibt dein Friede und das Wohlergehen aller Menschen, die eines guten Willen sind …?


Münchner Ausblick. Mitteilungen der Gewerkschaft Handel – Banken – Versicherungen HBV,
Ov. München 12 vom Dezember 1961, 1.