Materialien 1961

Wenn ein Außenseiter Chefarzt wird

Professorenstreit in München – Die Fakultät legte Stolperminen

Einstimmig berief der Münchner Stadtrat in der vergangenen Woche den Professor Dr. Jakob Bauer zum Ärztlichen Direktor des Schwabinger Krankenhauses. Damit fand eine Affäre ihr Ende, die dem Ansehen einiger Münchner Universitätsprofessoren nicht eben zuträglich gewesen war.

Das Krankenhaus hatten nach Kriegsende die Amerikaner okkupiert. Im November 1957 räumten sie einen Teil der Anlage; Münchens Stadtrat kam überein, dort eine Interne Abteilung einzurichten. Nun galt es, einen Chefarzt dafür zu finden.

Immerhin verging noch mehr als ein Jahr, bis sich der Stadtrat entschlossen hatte. In geheimer Sitzung wurde im Dezember 1958 Professor Bauer zum Chefarzt bestimmt. Und prompt wurde die in Deutschland weit verbreitete Legende von der eisernen Solidarität der Ärzte gegenüber der Öffentlichkeit zuschanden – an einer so profanen Sache wie der – Besetzung einer Chefarztstelle.

Professor Bauer war zu der Zeit in München kein Unbekannter mehr. Seine Privatpraxis florierte glänzend. Freilich hatte er einen etwas ungewöhnlichen Lebensweg hinter sich gebracht. Als drittes von neun Kindern, aufgewachsen im hintersten bayerischen Wald hatte er sich seinen Beruf nicht aussuchen können.

Den jungen Jakob zog es jedoch vom Schmelztiegel weg in den Karbolgeruch der Kliniken. Er schlug sich nach München durch und brachte es schließlich zum Krankenpfleger und Operationsgehilfen bei Sauerbruch, der damals ein Krankenhaus in der bayerischen Metropole leitete. Der strebsame Jüngling fiel dem Geheimrat auf; eines Tages brummte Sauerbruch wohlwollend: „Bauer, es wird wirklich Zeit, dass Du Medizin studierst“.

Mit 27 machte Bauer, der neben seiner Krankenpflegertätigkeit auch noch Straßen pflasterte, sein Abitur. An der Universität wurden ihm auf Grund besonderer Prüfungen zwei Semester vom Gesamtstudium erlassen; er bestand das Staatsexamen mit „sehr gut“ und promovierte summa cum lande. 1943 habilitierte er sich und wurde in den Krieg geschickt. Zwei Jahre nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft erhielt er eine Dozentur.

Das Kultusministerium intervenierte

Hierzu hatte es allerdings einer nachdrücklichen Intervention des bayerischen Kultusministeriums bedurft; an der Fakultät hatte nämlich so mancher standesbewusste Mediziner einen Mann mit diesem Lebensweg nicht für voll nehmen wollen. Ein Forschungsinstitut, um das sich Bauer, inzwischen Professor geworden, mehrfach bemühte, wurde ihm denn auch vorenthalten; die Fakultät war geschlossen dagegen. Bauers Praxis warf jedoch mittlerweile genug ab, dass er sich kostspielige Laboratorien leisten konnte (aus seinen Forschungen in den eigenen Labors resultiert ein halbes Hundert wissenschaftlicher Veröffentlichungen, außerdem das Material für eine Reihe von Vorträgen auf internationalen Kongressen im In- und Ausland, speziell über Hormone).

Dem Münchner Stadtrat aber imponierte dieser Mann. Bereits 1950 bewarb er sich um den Chefarztposten an einem Münchner Krankenhaus und fiel bei der Abstimmung nur deshalb durch, weil der Stadtrat mit einer Stimme Mehrheit beschloss, die Stelle aus Zweckmäßigkeitsgründen an einen 131er zu vergeben.1 Im Dezember 1958, wurde der 53jährige Professor Bauer mit überwältigender Mehrheit zum Chefarzt an der Schwabinger Klinik berufen.

Diese Nachricht entnahmen die Münchner am nächsten Tage der „Abendzeitung“. In derselben Nummer freilich wurde der „Protest“ einiger Ordinarien der Münchner Medizinischen Fakultät veröffentlicht, die „bezweifeln, ob Professor Dr. Jakob Bauer … die Voraussetzungen für diesen führenden Posten mitbringe“. Wer das Boulevardblatt las, musste sich ernste Gedanken darüber machen, ob er sich, wenn er einmal krank würde, guten Gewissens in die Schwabinger Klinik legen durfte.

Was die Ordinarien übergingen

Die Ordinarien bemängelten besonders, dass Bauer so plötzlich ernannt worden sei, vermieden allerdings, in ihrem „Protest“ auf das einzugehen, was sich in dem einen Jahr zwischen der Räumung des Krankenhauses durch die Amerikaner und der Berufung Bauers abgespielt hatte.

Durchaus rechtzeitig nämlich hatte, da die Medizinische Fakultät der Universität München großen Wert darauf legt, bei der Besetzung von Chefarztposten in kommunalen Krankenhäusern mitzureden, der städtische Krankenhausreferent Dr. Hamm den Direktor der II. Medizinischen Universitätsklinik, Professor Dr. Gustav Bodechtel, besucht, um ihn über das Vorhaben des Stadtrats zu unterrichten.

Professor Bodechtel reagierte prompt: Er schlug dem Referenten seinen eigenen Oberarzt, Professor Dr. Hermann Zickgraf, als künftigen Chefarzt im Schwabinger Krankenhaus vor, Dr. Hamm aber eröffnete ihm, dass auch der Oberarzt der Universitäts-Poliklinik, Professor Dr. Konrad Stuhlfauth, Ambitionen auf die Schwabinger Chefarztstelle hatte. Darauf richtete Bodechtel an den Direktor der Poliklinik, Professor Dr. Walter Seitz, ein liebenswürdiges Schreiben, in dem er den Kollegen Seitz bat, dem Oberarzt Stuhlfauth die Gelüste auf das Schwabinger Krankenhaus auszureden, damit sein, Bodechtels, Oberarzt Zickgraf ungestört kandidieren könne. Seitz jedoch schrieb kühl zurück, er denke gar nicht daran, auf seinen Oberarzt einzuwirken.

Also gelangten, nachdem sich insgesamt 22 Ärzte für den Schwabinger Posten beworben hatten, die gut qualifizierten Professoren Zickgraf und Stuhlfauth in die engere Wahl, mit ihnen aber auch der mit hervorragenden Zeugnissen und Empfehlungen ausgerüstete Jakob Bauer. Und für ihn entschieden sich Münchens Stadtväter – zunächst im Personalausschuss.

Am Tage vor der Plenarsitzung, auf der Bauers Bestätigung naturgemäß nur mehr eine Formalität war, diktierte der erzürnte Bodechtel einen Brief, in dem er Bauer ankreidete, dass er, was im übrigen sachlich unrichtig war, seit 1945 keine klinische Tätigkeit ausgeübt habe. Bodechtels Fazit: „Wir bedauern, dass … ohne Wissen der Fakultät und des Chefärzteausschusses dem Plenum des Stadtrats ein Vorschlag gemacht wird, der sich auf die Dauer ungünstig auswirken muss und der nicht die Zustimmung der Fakultät finden kann.“

Bodechtels Kollege Seitz unterschrieb diesen Brief ebenso wie der dritte Vertreter eines internistischen Lehrstuhls der Medizinischen Fakultät, der Professor und Direktor der I. Medizinischen Universitätsklinik, Dr. Herbert Schwiegk. Je ein Exemplar erhielten der bayerische Ministerpräsident, der Münchner Oberbürgermeister und Krankenhausreferent Dr. Hamm.

Aber noch ehe die drei Adressaten den Professoren-Protest am späten Abend in ihren Privatwohnungen entgegennahmen, war schon Sorge dafür getragen worden, dass sich die Öffentlichkeit ein rechtes Bild über die Meinung der Ordinarien machen durfte. Die „Abendzeitung“ wurde „von dritter Seite“ angerufen und von dem Brief in Kenntnis gesetzt. Die Redaktion rief Bodechtel an, und der gab bereitwillig über den Inhalt seines Schreibens Auskunft.

Als am nächsten Tage Münchens Stadträte in dem Boulevardblatt lasen, was die drei Ordinarien über Bauer dachten, ließen sie sich freilich davon nicht irritieren und beriefen ihn zum Chefarzt.

Professor Bodechtel freilich sah keinen Grund, hinfort seine Attacken gegen Bauer einzustellen. Als ein Reporter sich später mit dem Ordinarius in Verbindung setzte, wusste Bodechtel eine neue Variante: „Es empört uns, dass man jemand nimmt, dessen politische Beziehungen offenbar eine Rolle spielen“.


Die Zeit 25 vom 16. Juni 1961.

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1 131er nannte man in den 50er Jahren Beamte, die wegen ihrer Betätigung im NS-Staat nach dessen Ende zunächst aus dem Beamtendienst entfernt waren und in der BRD wieder in den Dienst aufgenommen wurden. Der Deutsche Bundestag beschloss die Regelung dazu am 10. April 1951 aufgrund des Artikels 131 des Grundgesetzes mit Zustimmung aller Parteien des Bundestages ohne Gegenstimmen bei nur zwei Enthaltungen. Sie besagte, dass alle Beamten, die beim Entnazifizierungsverfahren nicht als Hauptschuldige oder Belastete eingestuft worden waren, wieder verbeamtet werden durften.

Überraschung

Jahr: 1961
Bereich: Lebensart

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