Materialien 1962

Subversive Aktion

Der Büchertip

Zu meiner Überraschung musste ich vor kurzem in einer Diskussion mit Studenten der Münchner Universität feststellen, dass kaum einer von ihnen noch wusste, dass Rolf Pohle vor zehn Jahren Vorsitzender des AStAs der Münchner Uni war. Diese „Geschichtslosigkeit“ vieler Linker ist mit-
unter beängstigend, sie ist schlichtweg das Produkt einer falsch verstandenen antiautoritären Einstellung. Natürlich muss man sich zu .Recht gegen eine „Geschichtsschreibung“ wehren, die entweder als Heldenverehrung oder nostalgischer Rückblick vermittelt wird. Gerade der zehnte Jahrestag des 2. Juni 1967 hat in dieser Beziehung seltsame Blüten hervorgebracht, man sehe sich nur einmal die Juni-Nummer der Zeitschrift „Konkret“ an, dann kommt einem das große Kotzen. Es gibt aber auch eine Geschichtsschreibung, die aufzeigt, woher man kommt, wo man steht, und wohin man gehen kann, also eine kritische Rückschau, um die Orientierungslosigkeit zu überwin-
den.

In dieser Beziehung lohnt ein Blick in das Buch „Subversive Aktion“, herausgegeben und kommen-
tiert von Frank Böckelmann und Herbert Nagel, erschienen im Verlag Neue Kritik, allerdings zu einem Preis, der kritisiert werden muss, nämlich 29.80 DM und den ich einfach als unverschämt empfinde. Dennoch lohnt dieser Blick in das Buch, denn die subversive Aktion, die aus der Kün-
stlergruppe Spur hervorgegangen ist, war ein Stück Münchner Geschichte und kann als Mikrozelle der Studentenbewegung angesehen werden. Initiiert von Dieter Kunzelmann, Christofer Baldeney und Rudolphe Gasche, gehörten ihr von Frank Böckelmann über Rudi Dutschke, Günter Maschke, Bernd Rabehl und anderen fast all jene Studenten an, die später im SDS den antiautoritären Flügel bildeten, d.h. die Subversive Aktion war im Grunde sein Vorläufer. Die Spuren der Subversiven Aktion, die knapp drei Jahre existierte, und zwar vom Herbst 1963 bis zum April 1966, lassen sich selbst ein Jahrzehnt später noch im Witz der Lorenz-Entführer, der subjektiven Radikalität der Feministinnen, ja selbst im Putschismus der kreuzorthodoxen KPD wiederfinden. Ihr Protest gegen den Besuch des kongolesischen Ministerpräsidenten Tschombe am 18. Dezember 1964 beendete das Zeitalter der Petitionen und Apelle, der Ostermärsche und Resolutionen und schuf eine neue Art von Demonstration, die als Auftakt einer ganzen Kette von antiimperialistischen Demonstrationen der 60er Jahre angesehen werden können.

Die provozierende These der Subversiven Aktion: „Der Sinn der Organisation ist ihr Scheitern“ ist heute noch ebenso aktuell wie ihre Erkenntnis: „Auf der Chimäre einer revolutionären Klasse, die im 19. Jahrhundert das Proletariat verkörpern sollte, können wir selbst bei einem kollektiven Be-
wusstwerdungsprozess nicht aufbauen … Revolution von oben, inszeniert durch Berufsrevolutio-
näre, ist uns verhasst. Eine dritte Lösung müssen wir finden.“

Von München ausgehend initiieren vor allem Kunzelmann und Böckelmann im Laufe des Jahres 1964 den Aufbau einer ganzen Reihe von neuen Gruppen, u.a. in Berlin, Tübingen, Stuttgart und Frankfurt, die sich aus „Rädelsführern des organisierten Ungehorsams“ zusammensetzten und eine Unzahl von „Mikrorebellionen für den totalen Umsturz“ inszenieren sollten.

Damit war der Weg für die spätere Arbeit im SDS vorgezeichnet. Ihr Kampfmittel war nicht die Taktik, sondern die Provokation. Geplant wurden z.B. die Erstürmung eines Kaufhauses und die Verteilung der Waren auf der Straße, eine Vögel-Scene auf dem Stachus und eine Demonstration im Justizpalast. Während sich die Berliner Gruppe um Rabehl und Dutschke vor allem mit Fragen der politischen Ökonomie und der linken Parteien und Parteiabspaltungen in der Geschichte der Arbeiterbewegung befassten, diskutierten und schrieben die Münchner über Halbstarke, über Radio Luxemburg, über James-Bond-Filme, über Schlager, über das Trampen.

Zu diesen unterschiedlichen Stoßrichtungen findet man in dem Buch einen Brief von Dieter Kunzelmann an Frank Böckelmann, datiert vom 22. August 1964, der heute im doppelten Sinn wieder aktuell ist, und in dem es u.a. heißt:

„Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass Dutschke ein enorm geschickter Taktiker ist, dem ich mein blindes Vertrauen leider entziehen muss … Von Dutschke kam wieder ein Brief, doch kannte er meinen letzten noch nicht: Die Mikrozelle Hamburg wollen sie auf jeden Fall in Angriff nehmen. Was kümmerts mich? Hauptsache 1860 hat unentschieden gespielt.“

Abgesehen von solchen Anekdoten, die trotzdem viel aussagen, ist noch heute das Lesen von Arti-
keln wie „Jugendkrawalle in der saturierten Gesellschaft“ richtungsweisend, weil immer noch (oder schon wieder) aktuell, vor allem weil wir noch heute Erscheinungen wie den Rockern ver-
ständnislos und verunsichert gegenüberstehen. Eine andere Kritik an dem Buch: Warum stehen die Verfasser, warum leben viele der damaligen Akteure der Subversiven Aktion, die noch immer
in München wohnen, heute außerhalb der Bewegung, warum versuchen sie nicht, uns bei unserer Orientierungssuche, z.B. auf dem Mittwochsplenum in Milbertshofen, zu helfen. Warum treten sie bei Veranstaltungen, wie der zum 2. Juni beispielsweise nicht auf und vermitteln uns ihre Erfah-
rungen?

Peter Schult


Blatt. Stadtzeitung für München 97 vom 17. Juni 1977, 18.