Materialien 1962
Polizei verhindert Kranzniederlegung am Grabe Philipp Müllers
Aktueller Bericht
20tausend Jugendliche demonstrierten am 12. Mai 1952 in Essen gegen die Remilitarisierung in der Bundesrepublik. Bei dieser Demonstration wurde Philipp Müller aus Altaubing bei München von der Polizei erschossen. Zehn Jahre später; seine Freunde und Gleichgesinnte wollten Philipp Müller – seine Freunde nannten ihn Fips – zum zehnjährigen Todestag am Grabe im Friedhof von Altaubing besuchen.
Sie wollten seiner gedenken und sein Leben, das er hingab für eine friedliche Zukunft und eine bessere Welt, ehren.
Sie wollten, aber sie konnten nicht, denn sogar die Toten können dieser Demokratie noch gefährlich werden.
Als die Mutter, die Frau und Freunde Philipps am Friedhof ankamen, war dieser von Polizei umstellt und es wurde ihnen durch diese Ordnungshüter das Betreten des Friedhofes untersagt (Philipp Müllers Mutter und seine Frau wurden später an das Grab gelassen).
Verboten! Verboten! Das Leid und der Schmerz derer, die gekommen waren, paarte sich mit Empörung über diese Maßnahme, die Heuchler und Frevler, die vorgeben, zum Schutze der Demokratie einen friedlichen Friedhofsbesuch durch Polizei verhindern zu müssen. Sie konnten und wollten es nicht begreifen, dass die Rechte des Staatsbürgers nach den unvorstellbaren Verbrechen des dritten Reiches heute schon wieder durch demokratische Polizei eingeengt werden. Während sie das Unfassbare zu begreifen suchten, wurde immer mehr Polizei zum Friedhof beordert. Aus dem Lautsprecherwagen des Einsatzkommandos gellten die Worte über den Platz: „Achtung! Achtung! Hier spricht die Polizei. 1. Warnung! Räumen Sie den Platz, sonst müssen wir Sie entfernen. Gehen Sie in ihrem eigenen Interesse(?), wir warnen Sie usw. usw.“
Die anwesenden Zivilisten versuchten nun den Polizeibeamten zu erklären, dass sie gekommen waren, um am Grabe eines unvergessenen Toten Kränze und Blumen niederzulegen. Doch vergebens! Es ist wie damals, wenn Uniformierte einen Befehl haben, wird er ausgeführt. Keinem dieser Polizisten schien der Gedanke zu kommen, dass auch er einen lieben Menschen irgendwo begraben hat, den zu besuchen Unrecht sein soll. Nein, sie dachten nicht, denn Schnaps ist Schnaps und Dienst ist Dienst. Als sich die Friedhofbesucher von dem ersten Schrecken erholt hatten, versuchten einige die Situation zu photographieren. Doch nun dachten die Polizisten wieder. (Oder handelten sie wiederum nur auf Befehl?) Sie entrissen ihnen die Photoapparate, denn es darf anscheinend in diesem Rechtsstaat nicht bekannt werden, was sich „rechtmäßig“ auf Grund eines sogenannten Polizeiaufgabengesetzes, in Wahrung der Freiheit, zum Wohle einer durch Friedhofgänger bedrohten Demokratie, in unserem Lande abspielt.
Mittlerweile gellte die dritte und letzte Warnung aus dem Lautsprecher des Einsatzkommandos. Gleich darauf stramm und überdeutlich der Befehl: „Polizei in Reih und Glied! – Räumen!“ Nun setzten sie sich in Bewegung, gewillt zu verhindern, was „ihren Staat“, dem sie die Treue geschworen, „bedrohte“. Die mit Blumen und Kränzen „bewaffneten“ Friedhofgänger wurden zum Feind, denn sie hatten ihren Befehl. Furchtbar! Unvorstellbar! Aber geschehen.
Das Einsatzkommando entdeckte nun einen Pressevertreter, der sich Notizen machte. „Unerhört! Sofort festnehmen!“ Zwei Polizisten stürzten sich auf ihn und schleppten ihn im exakten Polizeigriff weg. Die empörten Pfuirufe bestätigten den Polizisten die „Gemeingefährlichkeit“ der sich mit Blumen und Kränzen „tarnenden“ Bürger und sie taten umso begeisterter ihre „Pflicht“. Empört, gedemütigt, voll Schamgefühl für diese „Pflichteiferer“ mussten die Freunde Philipp Müllers der Polizeigewalt weichen.
Wie steht es doch im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland?
Artikel 1 Absatz 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar …
Philipp Müller wurde durch „Pflichtbesessene“ erschossen, weil er stellvertretend für alle, auch für den, der ihn erschossen, in Essen demonstrierte, um des Friedens, der Demokratie und der Freiheit willen.
herbert klinger
Sammlung Ernst Grube.