Materialien 1962

Die Meinung des DGB

Der stellvertretende Vorsitzende des DGB-Landesbezirks Bayern sagte vor Funktionären der Gewerkschaften auf einer Konferenz am 19. Oktober in München: Es sei an der Zeit, endlich einmal in aller Deutlichkeit festzustellen, dass unsere Marktwirtschaft keine soziale sei, auch wenn sie sich aus Propagandagründen so nenne. Gerade die Kreise, die von den Gewerkschaften „Maßhalten“ verlangten, hätten sich selbst seit mehr als 10 Jahren ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit maßlos Profite verschafft, riesige Vermögenswerte angehäuft, die Machtpositionen der Wirtschaft und der Politik besetzt und einen Einkommenszuwachs erzielt, gegen den die Steigerung der Tariflöhne und -gehälter eine Lächerlichkeit darstellen. Die Arbeitnehmer hingegen und ihre Gewerkschaften haben immer schon ein fast zu großes Maß an Selbstbescheidung und gesamtwirtschaftlicher Verantwortung gezeigt. Man dürfe unsere Geduld nicht zu arg strapazieren: wir sind nicht gewillt, ein noch größeres Maß an Zurückhaltung zu üben, während sich gleichzeitig die Unternehmer auf Kosten der Arbeitnehmer weiterhin maßlos bereichern.

Die Gesetze der sogenannten Marktwirtschaft gelten bei uns offensichtlich nur so lange, als die Profite der Privatwirtschaft nicht angetastet werden. Nichts kennzeichne unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem mehr, als der Ausspruch des Bundeswirtschaftsministers, dass nicht das Prinzip der Marktwirtschaft, sondern die Menschen in der Marktwirtschaft versagt haben. Seitz stellte dazu fest: Falsch sei das Wirtschaftsprinzip und versagt habe vor allem der Bundeswirtschaftsminister! Die Gewerkschaften müssten daher neben ihrem Kampf um höhere Arbeitseinkommen und um einen größeren Anteil am Ertrag der Wirtschaft eine neue sozialgerechte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung anstreben, in deren Mittelpunkt der Mensch (und nicht nur der Unternehmer) stehe!


Münchner Ausblick. Mitteilungen der Gewerkschaft Handel – Banken – Versicherungen HBV, Ov. München 11 vom November 1962, 1.