Materialien 1963
Plattform der „Kontaktpflege“
Münchener Schüler und Eltern protestierten heftig
gegen militärische Aufklärungsarbeit im Sozialkundeunterricht
Geharnischte Elternproteste, eine handfeste Schülerdemonstration und eine interessante Aussprache haben in München eine bis dahin kaum beachtete „Bildungsarbeit“ der Bundeswehr ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt, die vielen bayerischen Lehrern schon seit langem ein Dorn im Auge war: Die Bundeswehr hat es verstanden, den Sozialkundeunterricht an den höheren Schulen zu einer Plattform der „Kontaktpflege“ zu machen. Hätten nicht protestierende Eltern sich an eine Landtagsabgeordnete gewandt, die ihrerseits die Presse ins Spiel brachte, und hätten nicht die Schüler eines Gymnasiums einen Jugendoffizier mit unfreundlichen Plakaten empfangen – „Zu wenig Hirn, zu viele Panzer!“ – so hätte sich auch weiterhin niemand Gedanken darüber gemacht, dass hauptamtlich dafür abgestellte Bundeswehroffiziere die ohnehin karg bemessenen Stunden des Sozialkundeunterrichts für militärische Aufklärungsarbeit benutzen dürfen. Selbst im bayerischen Kultusministerium hat man den Dingen bisher kaum Beachtung geschenkt. Es müsse sich um „bedauerliche Einzelfälle handeln“, erklärte man uns jetzt. Das Gegenteil brachte ein Anruf beim Wehrbereichskommando VI ans Licht.
Das Einlasstor für die Jugendoffiziere bietet der Lehrplan für das Fach Sozialkunde an den bayerischen höheren Schulen. Darin heißt es: „Aussprachen mit Vertretern der Politik, der Wehrmacht, der Wirtschaft, der Justiz, der Gemeinde- und Staatsverwaltung sowie Parlamentsbesuche, Betriebsbesichtigungen, Gerichtsverhandlungen, Studienfahrten sollen in den Unterricht einbezogen werden.“
Das ist ein weitgespanntes Programm, das den Schülern ein anschauliches Bild von der sozialen und politischen Wirklichkeit vermitteln soll, das aber bei einer einzigen Wochenstunde – im Jahr insgesamt kaum mehr als 35 Stunden – schwer auszufüllen ist. Entsprechend spärlich wird auch im allgemeinen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Fachleute von außerhalb heranzuziehen. Auch deshalb, weil es gar nicht leicht ist, etwa einen Politiker mit vollbesetztem Terminkalender für einen Auftritt im Klassenzimmer zu gewinnen.
Anders ist es bei der Bundeswehr. Allein in Bayern verfügt sie über vier hauptamtliche Jugendoffiziere, im Bundesgebiet sind es 18. Dazu kommen nebenamtliche Jugendoffiziere in jeder Garnisonstadt. Auch ihr Terminkalender ist voll besetzt – mit Vorträgen in Schulen und vor Jugendverbänden. Ihre Aufgabe, so sagte man uns beim Wehrbereichskommando, ist es, „Kontakte mit der Jugend herzustellen und zu pflegen“ und „im Rahmen des Sozialkundeunterrichts für Informationen über die Bundeswehr und militärische Fragen zur Verfügung zu stehen“.
Der Jugendoffizier wartet jedoch nicht ab, dass er gebeten wird, sondern sucht von sich aus den Schulleiter mit einer langen Themenliste auf. Und wenn er wieder fortgeschickt werden sollte, „geht er halt und kommt nächstes Jahr wieder“, antwortet das Wehrbereichskommando. Vorgekommen ist das allerdings noch nicht. Noch kein Jugendoffizier hat einen Rausschmiss riskiert.
Interessanterweise war es ein politisches Thema – die Notstandsgesetzgebung -, das jetzt den Krach in München auslöste. Der Schulleiter des Maximilian-Gymnasiums hatte es bewusst unter 17 Themen als das einzige nicht-militärische ausgewählt.
Die Möglichkeit, dass der Jugendoffizier mit dem Verbot, für die Bundeswehr zu werben, in Konflikt kommen könne, weist man beim Wehrbereichskommando weit von sich: „Wenn die Jungen mehr wissen wollen, verweist er sie an die zuständigen Stellen.“
In Konflikt müsste der Jugendoffizier aber auf jeden Fall mit dem Kultusministerium kommen. Denn dort stellt man sich die Heranziehung von Fachleuten aus dem politischen und wirtschaftlichen Leben etwas anders vor. Sie sollen nicht ein bequemes Podium für ihre Ansichten und Standpunkte vorfinden, sondern über bestimmte Fragen Aufschluss geben, wenn dies der Unterricht gerade erfordert. Mit anderen Worten: wenn der Lehrer es für nötig hält und sie dazu einlädt.
„Eine Aussprache mit den Vertretern der verschiedenen Lebensbereiche muss sorgsam in den Unterricht eingeplant werden“, erklärt uns die Sozialkundereferentin des Kultusministeriums. „Da können sich nicht einfach Fremdkräfte einschalten und ein fremdes Thema einstreuen. Die Initiative muss immer beim Lehrer bleiben.“
Wo die Initiative in der Praxis liegt, erfuhr auch das Kultusministerium erst durch Zeitungsberichte. Aber man möchte sich nicht gern in Gegensatz zur Bundeswehr bringen. „Bei so neuen Dingen gibt es eben immer ein gewisses Risiko.“
Hans Krieger
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Sehr zum Leidwesen der Schüler wird der Sozialkundeunterricht oft mit sehr langweiligen Themen bestritten. „Schuttabladeplatz für das, was in den übrigen Stunden nicht geschafft wird!“ nannte ihn ein Lehrer. Dass, wenn man zur Belebung fremde Kräfte bittet, diese hauptsächlich ausgerechnet aus der Bundeswehr kommen, erregte den Zorn der Münchener Oberschüler mit Recht. Man kann nämlich darüber streiten, ob die Bundeswehr als Gast im Sozialkundeunterricht überhaupt etwas zu suchen hat. Die Chance, auch Politiker und Leute aus der Praxis zu holen, um diese Unterrichtsstunden wirklichkeitsnah und aktuell zu gestalten, wird dagegen zu wenig wahrgenommen. Vielleicht gibt die Münchener Debatte jetzt dazu Anregung. Wir sind jedenfalls sicher, dass überall dort, wo man einen Gewerkschafter wünscht, auch einer kommen wird. Und wir freuen uns, dass die Oberschüler staatsbürgerliche Bildung so verstanden wissen wollen wie wir auch. O.G.
Metall 24 vom 26. November 1963, 13.