Flusslandschaft 1956

KPD

Bei den Bundestagswahlen 1953 erhielt die KPD nur noch 2,2 Prozent aller Stimmen. Man könnte erwarten, dass die wirtschaftlichen und politischen Eliten des Landes sie nicht weiter als bedroh-
lich empfinden. Weit gefehlt! Nach einer vom November 1954 bis zum Juli 1955 dauernden Ver-
handlung vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe wird am 17. August das Verbot der KPD und eventueller Ersatzorganisationen verkündet.1 Etwa neunzig Prozent der Mitglieder geben ihre Verbindung zum Parteiapparat auf, etwa zehn Prozent treibt das Verbot in die Illegalität, die viele Kommunistinnen und Kommunisten schon aus der Nazizeit gewohnt sind. Überraschende Protestaktionen in München erinnern von der Form her an die Aktivitäten der Weißen Rose.

„Max Reimann, ehemals KPD-Vorsitzender, dazu 1971: ‚Wenn es nach Recht und Gesetz gegangen wäre, dann hätte nicht die KPD verboten werden dürfen, dann hätten die großen Monopole und deren politische Repräsentanten entmachtet werden müssen, die Flick, Mannesmann, Krupp, Abs, die Herren der IG-Farben, um nur einige zu nennen. Sie waren die Verantwortlichen für zwei Weltkriege, die von deutschem Boden ausgingen … Statt dessen wurde mit dem Verbot der KPD der Weg freigelegt für die neue Aktivität aller antidemokratischen Kräfte in Staat, Wirtschaft, im gesamten gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik … Mit dem Verbot der KPD sollten alle progressiven Kräfte im Lande getroffen und vor allem die notwendige Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten verhindert werden.’ – Insbesondere sollte die SPD zur per-
manenten Abgrenzung nach links gezwungen werden. – Das Verbot der KPD führte dazu, dass viele Kommunisten, die im Faschismus verfolgt worden waren, nun erneut eingesperrt wurden. Erika Grube (Münchner Kommunistin/Freidenkerin, verst.) engagierte sich in den 50er Jahren gegen die Wiederbewaffnung. Eines Tages stand deshalb die politische Polizei vor ihrer Türe: Es waren dieselben beiden Beamten, die 1944 als Gestapo-Leute ihren Vater Otto Binder, der wegen seiner Widerstandstätigkeit hingerichtet wurde, abgeholt hatten.“2

Warum unterstützt die überwiegende Mehrheit in der Gesellschaft die Verfolgung von Kommuni-
sten? Jan Korte: „Erstens: Der Antikommunismus war seit der Weimarer Republik eine stete Kon-
stante in der deutschen Gesellschaft. Besonders die Prägung durch die NS-Gesellschaft war funda-
mental. Alexander und Margarete Mitscherlich haben in ihrem Werk «Die Unfähigkeit zu trauern» die emotionale Internalisierung des Antikommunismus erfasst: «Das Folgenreichste (der NS-Ge-
sellschaft, J.K.) dürfte der emotionelle Antikommunismus sein. Er ist die offizielle staatsbürger-
liche Haltung, und in ihm haben sich die ideologischen Elemente des Nazismus mit denen des kapitalistischen Westens amalgamiert. So ist eine differenzierte Realitätsprüfung für alles, was mit dem Begriff ›kommunistisch‹ bezeichnet werden kann, ausgeblieben. Das unter Adolf Hitler einge-
übte Dressat, den eigenen aggressiven Triebüberschuss auf das propagandistisch ausgenutzte Ste-
reotyp ›Kommunismus‹ zu projizieren, bleibt weiter gültig; es stellt eine Konditionierung dar, die bis heute nicht ausgelöscht wurde, da sie in der weltpolitischen Entwicklung eine Unterstützung fand. Für unsere psychische Ökonomie waren der jüdische und der bolschewistische Untermensch nahe Verwandte. Mindestens, was den Bolschewisten betrifft, ist das Bild, das von ihm im Dritten Reich entworfen wurde, in den folgenden Jahrzehnten kaum korrigiert worden.» – Zweitens: Dem folgernd hatte der Antikommunismus in der Bundesrepublik in erster Linie eine vergangenheitspo-
litische Funktion. Nämlich die Verdunkelung der NS-Vergangenheit und ein Exkulpationsangebot an die Mehrheitsgesellschaft. – Drittens: Der Antikommunismus in der Bundesrepublik war nicht nur ein Projekt der Eliten oder der Regierung Adenauer. Der Antikommunismus war eine Massen-
ideologie. Es gab einen harten Antikommunismus der Lohnabhängigen. Dieser Antikommunismus der Arbeiterklasse war vergangenheitspolitisch determiniert (siehe zweitens) und materiell. In Zei-
ten des Wirtschaftswunders waren der Verweis und die Glorifizierung der DDR nicht attraktiv. Weder in materieller Hinsicht noch im Bereich der individuellen Freiheitsrechte war die Orientie-
rung der KPD auf Ost-Berlin und Moskau überzeugend. – Viertens: Natürlich darf nicht vergessen werden, dass die KPD durch den NS-Faschismus enorm geschwächt war. Zahlreiche ihrer Funktio-
näre waren ermordet worden oder litten an den Folgen der grausamen Folterungen und Inhaftie-
rungen. Die Parteistrukturen waren in weiten Teilen zerschlagen worden und es gab wenig Nach-
wuchs direkt nach dem Krieg.“3

An manchen Orten entstehen kleine Subkulturen. Direkt im Hinterhof hinter der Schwabinger 7 in der Feilitzschstraße 9 betreibt Herbert Hösl eine Druckerei, in der sich an jedem Werktag und manchmal auch an Feiertagen ein Zirkel trifft, der diskutiert, plant und initiativ wird. Der Kommu-
nist druckt nicht nur für die 1956 verbotene KPD, bei ihm lassen auch Sozialdemokraten Flugblät-
ter drucken. Sie riskieren damit, aus der Partei geworfen zu werden. – Eine nicht unerhebliche Zahl der Schwabinger Künstlerinnen und Künstler sind Kommunisten. Das „Leben und Lebenlas-
sen“ im Viertel mildert den hysterischen Antikommunismus der Jahre des Kalten Krieges.


1 Vgl. Rolf Gössner: „Das KPD-Verbotsurteil als Anachronismus. Zur bürgerrechtlichen Problematik eines Parteiverbots“ in vorgänge 155 Heft 3 vom September 2001, 136 ff. – „Die Beschäftigung mit der KPD bis zu ihrem Verbot ist diffizil. Einer-
seits baute die autoritär strukturierte KPD Tarnorganisationen auf, die sie für ihre Generallinie instrumentalisierte, ande-
rerseits bot die antikommunistische Ausrichtung politischer Akteure und Institutionen auch den Vorwand für vielfältige Sauereien.“ Konrad Kittl am 21. April 2009. — „Der politischen Entwicklung in den westlichen Besatzungszonen bzw. dann später in der Bundesrepublik Deutschland stand (die KPD) fundamental ablehnend gegenüber. Die offene Forderung nach einem ‚revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes’ im Sinne des Marxismus-Leninismus führte 1956 letztendlich zu einem Verbot der Partei durch das Bundesverfassungsgericht.“ So die Web-Seite der Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn: ww.bpb.de/themen/DM7EKM,0,0,Die_Deutsche_Kommunistische_Partei_%28DKP%29.htm.

2 Freidenker-Info, Ortsverband München e.V., Mai – Juli 2006, 5 f.

3 Vgl. Jan Korte, Instrument Antikommunismus: Der Sonderfall Bundesrepublik, Berlin 2009.

Überraschung

Jahr: 1956
Bereich: KPD

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