Materialien 1963

Auch du hast Kennedy erschossen!

Um nicht kollektiver Lynchjustiz zum Opfer zu fallen, war es notwendig, dieses Manifest zu verzögern, bis die manipuliert hochgepeitschten Wogen sich wieder etwas geglättet hatten.

1.

Die unermessliche Trauer über den Tod Kennedys beweist, dass die Gesellschaft diesen Tod ersehnt hat: Zur Schau gestelltes Glück produziert Neid und die Trauer aller sollte den Todeswunsch aller kompensieren.

2.

Das Erschrecken darüber, dass die Kugel von uns allen kam, wird gemildert durch die Mystifi-
zierung des Verstorbenen und die Schuld, entstanden durch die erfüllte Todessehnsucht, wird abgetragen durch eine noch totalere Identifikation mit dem Apparat: Ich werde noch mehr arbeiten und noch fleißiger konsumieren.

3.

Der Schock, dass Halbgötter durch eine Kugel sterben können, findet seinen Ausdruck im Erstau-
nen, dass der Tote wirklich tot ist. In Wahrheit wird sie durch den Rummel nach dem Mord vor-
getäuscht, in einer Welt austauschbarer Marionetten sei ein Kennedy nicht austauschbar und ein Einzelner könne noch Geschichte machen, wo doch jeder nur noch wollen kann, was er soll und wo doch die autonomen Mechanismen der repressiven Gesellschaft in jedem Einzelnen zwangsläufig sich reproduzieren. – Der Pseudokrise folgt der vorgetäuschte Notstand, und dieser wiederum legitimiert den Zwang zu totaler Anpassung.

4.

Die manipulierte Hysterie und die kostenlos konsumierte Tragik erzeugen Zusammenhalt. Der Genuss des Schmerzes ist das Abzeichen der kollektiven Idiotie, und das schwülstige Gefühl von Gemeinschaft kann in einer Gesellschaft, wo jeder von jedem perfekt abgekapselt in der Isolation verharrt, nur noch durch gesteuerte Massenpsychosen suggeriert werden.

5.

In der Urhorde erschlugen die Söhne den Vater, um die Mutter zu besitzen und die Welt erschoss den Großen Bruder John, um sich an Jacqueline zu vergreifen. Die Unmöglichkeit der Erfüllung dieses Wunsches wird sublimiert durch die Annäherung Jacquelines an das Bild einer Maria Immaculata. Der erschlagene John F. Kennedy feiert seine Auferstehung und Himmelfahrt in Cap Kennedy und um seine Reinkarnation (Bobby, Edward, John) werden wir wohl nicht vergebens in den Messen der Massenmedien beten.

6.

Die westliche Wohlstandsgesellschaft braucht solche Pannen wie Lengede und Kennedy, um an Hand der Reaktion zu testen, ob noch alle gleichgeschaltet sind: Durch dieses Manifest geben wir kund, dass der gegängelte Zauber nicht mehr überall ankommt.

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Wer all dies nicht versteht, will es nicht verstehen
und untermauert nur die Wahrheit dieser Sätze,
gleichzeitig entpuppt er sich als devoter Befehlsempfänger gesamtgesellschaftlicher Dogmen.

SUBVERSIVE AKTION
München Berlin Nürnberg
Dezember 1963


Albrecht Goeschel (Hg.), Richtlinien und Anschläge. Materialien zur Kritik der repressiven Gesellschaft, München 1968, 40 f. Und:
Autonomie. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft 10 vom Januar 1978, München, 32.

Überraschung

Jahr: 1963
Bereich: Internationales

Referenzen